Im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung steht die Baubranche vor großen Herausforderungen. Dass die damit verbundenen Aufgaben lösbar sind, stellen Expertinnen und Experten des Fraunhofer WKI und ihre Partner im Projekt »ReMatBuilt« mit hochleistungsfähigen Baustoffen aus recycelten und Abfallmaterialien unter Beweis.
Wer einen Schritt vor die Haustüre macht, steht aktuell oft gleich mittendrin, im geräuschvollen Abbruch oder Aufbau: Baustellen prägen speziell in Ballungsräumen unseren Alltag. Da fällt es nicht schwer nachzuvollziehen, dass die Bauindustrie weltweit einer der größten Verbraucher natürlicher Ressourcen ist. Zeitgleich entstehen beim Abbruch bestehender Gebäude und Strukturen Massen an Material, deren Recycling allein unter Nachhaltigkeitsaspekten dringend erforderlich wird.
An diesen neuralgischen Punkten setzen Prof. Libo Yan und sein Team vom Fraunhofer WKI an. Im Forschungsprojekt ReMatBuilt entwickeln die Fachleute gemeinsam mit Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft nachhaltige Betonbaustoffe und leistungsstarke Bauelemente auf Basis von Bau- und Abbruchabfällen sowie pflanzlichen Produktionsresten. Gefördert wird das Projekt durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Nationalen Bioökonomiestrategie.
Die in Deutschland und China ansässigen Projektpartner legen besonderen Wert auf Praxisnähe und schnelle Umsetzbarkeit: Es geht ihnen zum einen darum, als internationales Team der globalen Verantwortung für biobasiertes, nachhaltiges Wirtschaften Rechnung zu tragen und passende Recycling- sowie Produktionsverfahren für die Baubranche zu identifizieren. Zum anderen gestalten sie die entstehenden Produkte und alle vorgelagerten Verfahrensschritte so, dass sie den landesspezifischen Regularien beider Länder entsprechen. Die unter dieser Maxime entwickelten Lösungen können schnell eingesetzt werden und somit den Anteil erneuerbarer Rohstoffe im Bauwesen weltweit unmittelbar signifikant erhöhen.
»Die Idee, Baumaterialien zu recyceln und mit alternativen Werkstoffen aus der Natur zu experimentieren, ist nicht neu. Was unser Vorhaben einzigartig macht, ist sein ganzheitlicher Ansatz«, verdeutlicht Projektleiter Yan. »Wir kombinieren unser Wissen um die Verfahren und die Eigenschaften der verschiedenen Materialien, um die chemische, physikalische und mechanische Leistung von der Mikro- bis zur Makroskala zu verstehen und erreichen damit bereits ein sehr hohes Technology Readiness Level – ein wichtiger Aspekt im Hinblick auf die praktische Anwendung.«
Weniger Abfall, geringerer Ressourcenverbrauch
Vergleicht man die herkömmliche Herstellung und Zusammensetzung von Baustoffen mit der, die die ReMatBuilt-Projektpartner realisieren, werden die vielfachen Vorteile ihres Ansatzes rasch deutlich: Die Fachleute verwenden sogenannten Bauschutt, also Altbeton und Mauerwerksabfälle, sowie landwirtschaftliche Reststoffe, um Recyclingbeton herzustellen. Diese Bestandteile verstärken sie mit pflanzlichen Naturfasern wie Flachs, ergänzt um forstwirtschaftliche Abfallprodukte, etwa Hackschnitzel aus Altholz.
Handelsüblicher Beton dagegen enthält Zement und meist Kies als Zuschlagstoff. Letzterer ist als Gesteinskörnung eine endliche Ressource, deren Abbau die Umwelt schädigt. Zudem muss er oft über weite Strecken transportiert werden. Bauschutt und Altholz fallen hingegen weltweit in den relevanten Arealen flächendeckend in hohen Mengen an und werden bislang kaum wiederverwertet. Ökologisch wie ökonomisch gesehen ein hoch attraktiver Ersatz.
Ähnlich verhält es sich mit Zement. Das Bindemittel unter den Baustoffen entsteht aus natürlichen Rohstoffen wie Kalkstein, Ton und Quarzsand – und verursacht in seiner Herstellung hohe Kohlenstoffdioxid-Emissionen, die der Industrie zunehmend Kopfzerbrechen bereiten.
Dem Team um Prof. Yan ist es gelungen, einen mehr als vollwertigen Ersatzstoff zu identifizieren: »Reis ist das meistverwendete Nahrungsmittel der Welt. Seine Schalen werden bisher kaum genutzt. Wir haben herausgefunden, dass sich die Reisschalenasche, die in einem speziellen Verbrennungsvorgang entsteht, bestens als Zementersatz eignet.«
Die Testergebnisse sprechen für sich: Der recycelte Beton schont nicht nur endliche ökologische Ressourcen, die aus ihm gefertigten Bausteine sind leichter als das traditionelle Pendant und überzeugen mit einem Plus an Festigkeit, Haltbarkeit, Wärme- und Schalldämmung.
Die Expertinnen und Experten entwickeln im Rahmen des Projekts zudem Dämmstoffe aus pflanzlichen Abfallprodukten wie Sägespänen, Reis- und Weizenstrohhalmen als ressourcenschonende Alternative zu aktuell dominierenden Varianten, die aus erdölbasiertem Kunststoff, Mineral- und Glaswolle oder Holzfaser bestehen. Mit diesen nachhaltigen Dämmplatten lassen sich die fertigen Betonbausteine zu Wandsystemen aus gedämmten Blöcken verbinden. Die Fachleute haben darüber hinaus Verbundsysteme konzipiert, durch die sich der Recyclingbeton verbunden mit Furnierschicht- und Brettsperrholz als Geschossdecke nutzen lässt.
Die hybriden Bauelemente kombinieren die Vorteile von herkömmlichem Beton und pflanzlichen Baustoffen. Sie sind langlebig und weisen überzeugende mechanische, Feuchte- und Wärmeschutz-Eigenschaften auf. Darüber hinaus lassen sie sich leicht verarbeiten und erfüllen alle Brandschutzvorgaben. Auf diese Weise erweitern die Projektpartner mit ihren Lösungen die Möglichkeiten, unter zunehmend strengen Nachhaltigkeitsanforderungen kosteneffizient zu bauen – ganz gleich ob für Einfamilienhäuser oder große Gebäudekomplexe.
Projektleiter Yan freut sich über die gelungene Zusammenarbeit der international agierenden Projektgruppe, die dank ihrer bereits erzielten Erfolge nun in die Verlängerung geht: »Mit unserer Arbeit schaffen wir wirtschaftlich interessante Perspektiven – nicht nur für die Dämmstoff- und Bauindustrie: In Agrar- und Forstwirtschaft werden etwa Produktionsabfälle zu wertvollen Baustoffen. Unsere Partner im Bereich Recycling und Maschinenbau entwickeln wiederum Methoden, mit denen Pflanzenabfälle bestmöglich gewonnen und weiterverarbeitet werden, um die entsprechenden Vorprodukte herstellen zu können.«
Der Mensch im Mittelpunkt
Ein Aspekt ist Libo Yan besonders wichtig: seine Lösungen sollen unmittelbar den Menschen zugutekommen und das schnellstmöglich.
Denn das Potenzial, das in den Ergebnissen der Projektpartner steckt, ist immens – gerade vor dem Hintergrund der aktuellen weltpolitischen Lage: »Wir können mit unserer Arbeit einen signifikanten Beitrag zum Wiederaufbau der Ukraine leisten«, ist der Projektleiter überzeugt und präzisiert: »Es ist schrecklich, aber Tag für Tag fallen hier riesige Mengen Bauschutt an. Zudem ist das Land reich an natürlichen Rohstoffen und einer der weltgrößten Exporteure von Agrarrohstoffen wie Getreide – Weizen, Mais oder Reis. Vor diesem Hintergrund arbeiten wir aktuell unter Hochdruck daran, unsere Ergebnisse in die Anwendung zu bringen. Mit Industriepartnern vor Ort können wir den Menschen in der Ukraine maßgeblich helfen, den Wiederaufbau ihres Landes schnell, kostengünstig und nachhaltig zu bewerkstelligen. Mit recycelten Beton-Bausteinen und den entsprechenden Isolierungen aus natürlichen Materialien, die alle vor Ort reichlich vorhanden sind.«
Förderung
Das Projekt wird gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) über den Projektträger Jülich (PtJ) im Rahmen der Nationalen Bioökonomiestrategie.
Über Fraunhofer WKI
Nachhaltigkeit durch Nutzung nachwachsender Rohstoffe steht seit über 75 Jahren im Fokus des Fraunhofer WKI. Das Institut mit Standorten in Braunschweig, Hannover und Wolfsburg ist spezialisiert auf Verfahrenstechnik, Naturfaser-Verbundkunststoffe, Bindemittel und Beschichtungen, Holz- und Emissionsschutz, Qualitätssicherung von Holzprodukten, Werkstoff- und Produktprüfungen, Recyclingverfahren sowie den Einsatz von organischen Baustoffen und Holz im Bau. Nahezu alle Verfahren und Werkstoffe, die aus der Forschungstätigkeit hervorgehen, werden industriell genutzt.
Source
Fraunhofer WKI, Pressemitteilung, 2024-02-21.
Supplier
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
Forschungszentrum Jülich
Fraunhofer-Institut für Holzforschung Wilhelm-Klauditz-Institut WKI
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