Verkleidungsbauteile: Hanf kann Glasfasern in vielen Anwendungen ersetzen

Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts IWU Zittau haben zusammen mit der Hochschule Zittau/Görlitz biologische Alternativen für Glasfasern in Verbundwerkstoffen erforscht

Detailaufnahme eines Bauteils aus Naturfaser-SMCs (Zuginnenverkleidung). Gut sichtbar sind neben dem Faserverlauf die geometrischen Freiheitsgrade, die das Material erlaubt
Detailaufnahme eines Bauteils aus Naturfaser-SMCs (Zuginnenverkleidung). Gut sichtbar sind neben dem Faserverlauf die geometrischen Freiheitsgrade, die das Material erlaubt. © Fraunhofer IWU

Als Sheet Moulding Compounds (SMCs) werden langfaserverstärkte Halbzeuge bezeichnet, mit denen sich im Fließpressverfahren komplexe Formteile mit hoher Oberflächenqualität herstellen lassen. Das Fraunhofer IWU Zittau und die Hochschule Zittau/Görlitz erforschen biologische Alternativen für Glasfasern in Verbundwerkstoffen. Das Ziel sind wirtschaftliche Herstellungsverfahren, damit schon bald der Umstieg auf weniger umweltbelastende biogene Reststoffe zur Faserverstärkung gelingt. 

Hanffasern statt Glasfasern: Biogene Reststoffe können in SMCs Kunstfasern ersetzen, deren Herstellungsprozess energieintensiv ist. Im Bild: Gröbere Hanffasern auf dem Förderband vor dem Aufschließen und Verbinden mit der Matrix. © Fraunhofer IWU

Die Einsatzmöglichkeiten für SMC-Bauteile sind vielfältig. Sie dienen als Innenverkleidungen in Zügen und Bahnen, Außenverkleidungen für LKW und Landmaschinen oder schützen elektrische Verteilerkästen und Schaltanlagen.

Dr. Rafael Cordeiro ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Kunststoffzentrum Oberlausitz und im LaNDER³-Projekt der Hochschule Zittau/Görlitz. Er arbeitet insbesondere an Zuginnenverkleidungen, bei denen die Glasfaser durch Naturfasern in Kombination mit Harz ersetzt wird. Als Naturfaser dient Hanf – genauer die gröberen Fasern, die als Nebenprodukt bei der Textilherstellung mit Hanf anfallen. Der Gewichtsanteil der Naturfaser im neu entwickelten SMC beträgt etwa 15 Prozent; durch den geplanten Einsatz von biobasiertem Harz als Matrix, also der Komponente, in der die Fasern eingebettet sind, steigt der »natürliche« Anteil künftig auf bis zu 38 Prozent. Hinzu kommen 55 Prozent Mineralstoffe wie Calciumcarbonat (bekannt als Kalkstein bzw. Kreide) oder Aluminiumhydroxidhydrat, das in der Natur als Bauxit vorkommt. Die verbleibenden 7 Prozent sind überwiegend petrochemische Zusatzstoffe, für die es derzeit noch keinen biobasierten Ersatz gibt. Nachfolgend wichtige Fakten zu Naturfaser-SMCs.

Herausforderungen für die Produktion

Eine Herausforderung für die Produktion ist, dass insbesondere Naturfasern Feuchtigkeit binden und in Ländern mit hoher Luftfeuchtigkeit eine vorherige Trocknung erforderlich sein kann, da sonst Blasenbildung auftreten kann. Die Blasenbildung hängt auch von der Imprägnierung ab.

Dr. Rafael Cordeiro forscht am Fraunhofer IWU in Zittau an Verbundwerkstoffen mit Naturfasern. © Fraunhofer IWU

Dr. Cordeiro: »Das Naturfaser-SMC ist so entwickelt, dass für die Produktion größerer Stückzahlen nur sehr geringe zusätzliche Anlageninvestitionen und nur minimale Prozessparameteränderungen erforderlich sind.«

Energieaufwand bei der Herstellung

Bei der Herstellung von Halbzeugen und Bauteilen durch Fließpressen gibt es hinsichtlich der Prozesse und der benötigten Energie keine signifikanten Unterschiede zwischen Naturfaser- und Glasfaser-SMCs. Die Halbzeugherstellung erfolgt bei Raumtemperatur, weshalb der Energiebedarf der Anlage relativ gering ausfällt. Die Umformung von Bauteilen findet in einem Heißpressprozess in hydraulischen Pressen statt, bei Temperaturen zwischen 110 °C und 150 °C. Dieses Temperaturfenster liegt unter dem von thermoplastischen Bauteilen und erfordert keine Kühlungs- bzw. Heizzyklen der Werkzeuge, mit entsprechend positiven Auswirkungen auf den Energiebedarf.

Auswirkungen auf Mensch und Umwelt

Wie bei allen Produkten aus Kunststoff besteht auch hier die Möglichkeit der Bildung von Mikroplastik durch Abrieb. Die am Fraunhofer IWU in Zittau entwickelten Naturfaser-SMCs sind jedoch für die genannten Anwendungen vorgesehen, bei denen es zu keinem intensiven Abrieb kommt. Die Substitution von Glasfasern durch Hanffasern führt zu einer erheblichen Reduzierung von Haut- und Atemwegsreizungen bei Mitarbeitenden im Bereich der Material- und Produktherstellung sowie beim Umgang mit beschädigten Teilen oder bei der Entsorgung. Darüber hinaus resultieren aus der Herstellung von Hanffasern deutlich geringere CO2-Emissionen als bei Glasfasern, was die Umweltauswirkungen erheblich reduziert.

Haltbarkeit

Die typische Lebensdauer von Naturfaser-SMCs liegt bei bis zu 30 Jahren, abhängig davon, ob das Material für Innen- oder Außenanwendungen genutzt wird. Durch eine gezielte Einstellung des Matrix-Harzes lässt sich beispielsweise die Witterungsbeständigkeit erhöhen.

Biologische Abbaubarkeit, Recyclingfähigkeit

Ähnlich konventionellen SMCs können auch Naturfaser-SMCs nicht recycelt werden. Letztere sind zwar nicht als Ganzes biologisch abbaubar, allerdings laufen vielversprechende Versuche, um die Naturfaser von der Matrix und dem Füllstoff zu trennen, damit der Naturfaser-Anteil kompostiert und der Füllstoff wiederverwendet werden kann. Die Fasern sind nach der Trennung so klein, dass sie nicht mehr in SMC-Anwendungen weiterverwendet werden können. Zur technologischen Wiederverwendung der gewonnenen Kurzfasern besteht weiterer Forschungsbedarf.

Dr. Rafael Cordeiro: »Die Nachhaltigkeitsbilanz von Naturfaser-SMCs ist noch nicht perfekt. Aber sie ist schon heute wesentlich besser als bei glasfaserverstärkten Verbundmaterialien. Auch die Materialkosten stimmen. Somit sind die von uns entwickelten Alternativen zu klassischen Glasfaser-SMCs definitiv marktfähig. Die Herstellung nachhaltigerer SMC- Bauteile ist möglich.« 

Die Angaben zu Naturfaser-SMCs basieren auf einem Interview von Tina-Seline Göttinger mit Dr. Rafael Cordeiro im Rahmen einer Bachelorarbeit. 

Source

Fraunhofer-Institut IWU, Pressemitteilung, 2024-08-06.

Supplier

Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU
Hochschule für Technik, Wirtschaft und Sozialwesen Zittau/Görlitz (FH)

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