Laut Expertenschätzungen wird für den europäischen Markt für Farben und Lacke ein Wachstum von 37,2 Mrd. USD im Jahr 2023 auf 41,6 Mrd. USD im Jahr 2028 (Markets and Markets, 2023) erwartet. Während eine Mehrheit der aktuell eingesetzten Inhaltsstoffe auf fossilen Rohstoffen basiert, zeigen Trends eine steigende Nachfrage nach nachhaltigen Farben und Beschichtungen sowohl für die professionelle wie auch für die sogenannte Do-it-yourself-Branche (DIY). Um einen reibungslosen Übergang von fossilen zu nachhaltigen Produkten zu ermöglichen, benötigt die Branche dringend leistungsstarke bio-basierte Lösungen, besonders für Biopolymere und Lipide, Bindemittel, Füllstoffe, Pigmente und Additive wie funktionelle Nanomaterialien. Diese Hauptkomponentengruppen repräsentieren zusammen rund 70% der Inhaltsstoffe von Farben und Lacken (American Coatings Association, 2023). Hier setzt das Projekt PERFECOAT an. Das EU-finanzierte Forschungsprojekt PERFECOAT entwickelt erfolgreich innovative, bio-basierte Lösungen aus Bio-Abfällen und landwirtschaftlichen Reststoffen. Diese werden im Rahmen von drei konkreten Anwendungsfällen getestet: UV-härtbare Klarlacke für Holz, wasserbasierte Fassadenfarben für DIY-Anwendungen und wasserbasierte Wandfarben.
Von Alginaten, Xylan, Chitosan bis hin zu Hefe – ein buntes Buffet bio-basierter Bindemittel
Bindemittel stellen eine der größten Herausforderungen bei der Entwicklung von Farben dar. Sie definieren nicht nur die Farbtextur und sichern die Haftung zwischen Pigmenten und der Auftragsoberfläche, sondern bestimmen auch dekorative und funktionale Farbeigenschaften wie Klarheit, Flexibilität, UV-Beständigkeit (Vergilbungsfreiheit) sowie Trocknungs- und Aushärtungszeit. Um unterschiedliche Alternativen bewerten zu können, untersucht das PERFECOAT-Team verschiedene bio-basierte Bindemittel, z.B. modifizierte Alginate (SINTEF), Xanthan (Technische Universität München) und Xylan (Celignis). Diese nutzen verschiedene Biomasse-Ressourcen wie landwirtschaftliche Reststoffe, z.B. Pappelholz, Buchenholz, Weizenstroh, und spät geschnittenes Gras. Alle Alginatproben zeigen eine hohe Wasserlöslichkeit, demonstrieren jedoch auch gute Filmbildungseigenschaften. Während in einigen Fällen Mikroorganismen das Ausgangsmaterial in Alginat, Lipide und Terpene umwandeln, kann Xylan Chitin direkt aus Biomasserückständen extrahieren. Zur Xylan-Gewinnung bevorzugt das PERFECOAT-Team einen Ansatz, der die Enzymbehandlung und chemische Extraktion kombiniert. Dieses Verfahren führt zu reinem Xylan mit wenigen oder gar keinen Seitenketten.
Weitere Tests konzentrieren sich auf die Extraktion von Chitosan aus den Schalen von Dublin Bay-Garnelen. Dieser Prozess erfordert eine Entmineralisierung, Entproteinisierung und Entfärbung der Krabbenschalen, während eine Alkalibehandlung das Chitin in Chitosan umwandelt.
Das Team untersucht auch die Umwandlung mehrfach ungesättigter mikrobieller Lipide in Bindemitteln. Hierbei wandeln unkonventionelle Hefen wie Rhodutorula toruloides und Yarrowia lipolytica die mehrfach ungesättigten Öle und Fettsäuren in bio-basierte Bindemittel für UV-härtende Anwendungen um und modifizieren diese. Beide Hefen sind in der Lage, Biomasse mit einem Lipidgehalt von > 50 % und > 20 % zu liefern.
Die vielversprechendsten Ergebnisse als Bindemittelkomponenten zeigen in diesem Projektstadium Xylan, mikrobielle Alginate, Öle und mikrobielle Lipide. Alle Varianten werden kontinuierlich auf ihre Ergiebigkeit, Machbarkeit und Verwendung in Formulierungen getestet.
Einen weiteren potenziellen Ansatz bietet die Funktionalisierung von Exo-Polysacchariden, anderen Biopolymeren und lipidbasierten Verbindungen zu neuen, bio-basierten Bindemitteln. Mit einem Fokus auf UV-härtbare Bindemittel entwickelt das PERFECOAT-Team erfolgreich einen mikrobiellen Terpen-Produktionsweg und untersucht die Terpene Limonen, Pinen und Sabinen, die mithilfe manipulierter Stämme der Hefe Yarrowia lipolytica produziert werden. Der chemische Charakter und die Reaktivität dieser Verbindungen machen sie im Hinblick auf diesen speziellen Anwendungsfall besonders interessant. Um das Material schließlich zu UV-härtbaren Bindemitteln zu funktionalisieren, nutzen die Forschenden die Prozesse der Bio- und/oder Chemokatalyse.
Innovative natürliche Pigmente aus Hefen und Pilzen
Zu den Zielen des PERFECOAT-Projektes zählen auch die Entwicklung und Herstellung von mindestens zwei verschiedenen Formulierungen für rote Pigmente und Farbstoffe sowie andere Farben. Hier beweist der dänische Projektpartner Chromologics Aps seine Vorreiterrolle, indem er innovative neue Pigmente entwickelt und patentiert. Der wasserlösliche Farbstoff wird durch die Kombination von Atrorosin mit Maltodextrin als Bindemittel hergestellt, während die Pigmente durch Komplexierung mit Aluminium, ergänzt durch Magnesium, erzeugt werden. Erste Tests zeigen vielversprechende Ergebnisse hinsichtlich Ergiebigkeit, Farbe und Leistung, mit beeindruckenden Ergebnissen für die Aluminiumvariante für Farben und Beschichtungen. Chromologics sieht zudem großes Potenzial für die Herstellung roter und orangefarbener Pigmente aus dem Pilz Talaromyces Atroroseus. Alternative Strategien für Carotinoide nutzen die Hefen R. Toruloides und Y. Lipolytica, die auch eine Gewinnung des violetten Pigments Violacein ermöglichen. Violacein ist eine natürlich vorkommende therapeutische Antikrebsverbindung mit tiefvioletter Farbe. Die Zwischenprodukte des Violacein-Biosynthesewegs weisen auch andere Farben auf, wie beispielsweise grün von Prodeoxyviolacein oder rosa von Deoxyviolacein.
Schützende Eigenschaften durch funktionelle Nanomaterialien und Füllstoffe
Füllstoffe machen zwischen 10 und 40% der Inhaltsstoffe von Farben aus und sind dadurch ein wichtiger Bestandteil. Die Entwicklung von Füllstoffen aus mikrobieller Biomasse bietet daher vielversprechende Perspektiven für die bio-basierte Industrie. Hier zeigt die vom PERFECOAT-Partner Borregaard (BG) entwickelte Mikrofibrillierte Cellulose (MFC), auch bekannt als Exilva, eine hervorragende Produktleistung. Exilva ist eine unlösliche MFC, die aus einer Verflechtung von Zellulosefasern besteht, die sowohl physikalisch durch ihre extreme Oberfläche, als auch chemisch durch Wasserstoffbrückenbindungen, interagieren können. Rheologische und mechanische Funktionalitäten verleihen dem Material als Zusatzstoff in Fertigproduktsystemen eine einzigartige Kombination an Eigenschaften.
Um verschiedene Eigenschaften zu verbessern und zu ergänzen, untersucht das PERFECOAT-Team weitere funktionelle Nanomaterialien, wie beispielsweise polyedrische oligomere Silsesquioxane (POSS). POSS ist ein hybrides organisch-anorganisches Nanomaterial, das aus einem Siliziumdioxidkäfig mit acht organischen funktionellen Gruppen besteht. Das polyfunktionelle Additiv erhöht die Vernetzungsdichte und somit die Kratzfestigkeit von Beschichtungen, bei gleichzeitiger Verbesserung der thermischen und feuerbeständigen Eigenschaften. Die Komponente könnte auch neue Funktionalitäten wie Selbstreinigung und Feuerhemmung erschließen und hierdurch die Gesamtleistung des Endprodukts verbessern. Derzeit entwickelt das Team eine breite Palette von POSS-Derivaten auf Wasserbasis, darunter ein UV-härtendes POSS.
Nachhaltige, sichere und hochleistungsfähige Lackkomponenten
Alle Inhaltsstoffe werden im Hinblick auf ihre Leistung, Anforderungen und Eigenschaften in Formulierungen getestet. Die leistungsfähigsten Kombinationen von Bindemitteln, Additiven, Pigmenten und Füllstoffen werden genutzt, um mindestens eine Demonstrationsfarbe für jeden der drei Endanwendungsfälle zu entwickeln: hochvolumige UV-härtbare Klarlacke, wasserbasierte Anstrichfarben für Heimwerker und wasserbasierte Wandfarben. Zu den obersten Prioritäten von PERFECOAT zählen hierbei die Sicherheit und Nachhaltigkeit bio-basierter Farben und Beschichtungsprodukte für Anwender und Umwelt. Im Rahmen des Projekts soll daher quantitativ gezeigt werden, welche Nachhaltigkeitsverbesserungen sich mithilfe bio-basierter Lösungen im Vergleich zu herkömmlichen Farben und Lacken auf fossiler Basis erzielen lassen. Das Projekt entwickelt hierzu einen geeigneten Bewertungsrahmen. Dieser umfasst eine Lebenszyklusbewertung (LCA), eine Lebenszykluskostenrechnung (LCC), die End-of-Life-Strategie der Produkte sowie gesellschaftliche Auswirkungen der entwickelten Produkte und Verfahren auf bestimmte Gemeinschaften und die Gesellschaft im Allgemeinen. Eine Bewertung der sozialen Auswirkungen und eine Marktstudie begann bereits in den frühen Projektphasen und gewährleistet, dass alle entwickelten Lösungen den Kriterien der Wirtschaftlichkeit und der gesellschaftlichen Akzeptanz entsprechen.
Diese und weitere Ergebnisse stellt das PERFECOAT-Konsortium am 24. April 2024 auf seiner nächsten Veranstaltung in Brüssel, Belgien, vor. Die Anmeldung ist unter https://events.renewable-carbon.eu/event/bio-based-innovations-for-industrial-applications möglich.
Diesen Monat veröffentlichte das Konsortium ein Projektvideo, das unter https://www.youtube.com/watch?v=tSnJOCYuVn0 abrufbar ist. Eine erweiterte Version steht unter https://www.youtube.com/watch?v=-AjCJyqFMLI&t=58s zur Verfügung
Weitere Informationen über PERFECOAT finden Sie unter https://perfecoat-project.eu
Das PERFECOAT-Projekt ist ein Gemeinschaftsprojekt von Unternehmen der bio-basierten Industrie (JU) im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizont 2020 der Europäischen Union unter der Fördernummer 101022370. Das Gemeinschaftsprojekt wird durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizont 2020 der Europäischen Union und das Konsortium der bio-basierten Industrie unterstützt.
Referenzen
American Coatings Association, 2023 https://www.paint.org/coatingstech-magazine/articles/demand-coatings-raw-materials-to-2022/
European Paints and Coatings Markets by Resin Type; in Markets and Markets https://www.marketsandmarkets.com/Market-Reports/european-paint-coating-market-124411528.html (Stand 30. August 2023)
Über nova-Institut
Die nova-Institut GmbH arbeitet seit Mitte der 90er Jahre im Bereich der Nachhaltigkeit und konzentriert sich heute vorrangig auf das Thema Erneuerbare Kohlenstoffkreisläufe (Recycling, Bioökonomie und CO2-Nutzung/CCU).
Als unabhängiges Forschungsinstitut unterstützt nova damit insbesondere Kunden der Chemie-, Kunststoff- und Werkstoffindustrie bei der Transformation von fossilem zu erneuerbarem Kohlenstoff aus Biomasse, direkter CO2-Nutzung und Recycling.
Sowohl in der Begleitforschung von internationalen Innovationsprojekten als auch in der individuellen, wissenschaftlich fundierten Unternehmensberatung beschäftigt sich bei nova ein multidisziplinär zusammengesetztes Team aus Wissenschaftlern mit dem gesamten Themenspektrum von erneuerbaren Rohstoffen, Technologien und Märkten über Ökonomie, politische Rahmenbedingungen, Ökobilanzen und Nachhaltigkeit bis hin zur Unterstützung bei Kommunikation, Zielgruppenansprache und Strategieentwicklung.
50 Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Disziplinen arbeiten so gemeinsam an der Defossilisierung der Industrie und für eine klimaneutrale Zukunft. Mehr Informationen unter: nova-institute.eu – renewable-carbon.eu
Source
nova-Institut, Pressemitteilung, 2023-11-29.
Supplier
American Coatings Association
Bio-based Industries (BBI) Joint Undertaking
Bio-based Industries Consortium (BIC)
Celignis Biomass Analysis Laboratory
European Commission
Marketsandmarkets
nova-Institut GmbH
SINTEF
Technische Universität München (TUM)
Share
Renewable Carbon News – Daily Newsletter
Subscribe to our daily email newsletter – the world's leading newsletter on renewable materials and chemicals