Studie: Weiße Biotechnologie ausbaufähig

Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland als Standort für die Fermentationsindustrie im internationalen Vergleich

Im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMELV) wurde die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Fermentationsindustrie untersucht. Die Verarbeitung von Kohlenhydraten zu Treibstoffen oder chemischen Ausgangsstoffen mit Hilfe von Bakterien ist hierzulande im globalen Vergleich eher unbedeutend, schreiben die Autoren. Mehr als 75% der Produktion decken die USA und Brasilien ab. Es gebe jedoch Ausbaupotenzial, etwa bei Bioethanol und der Produktion von organischen Säuren und anderen Produkten für die Chemie- und Futtermittelindustrie. Durch die steigenden Rohstoffpreise sei Deutschland auf diesen Gebieten durchaus konkurrenzfähig.

Die industrielle oder “weiße” Biotechnologie macht im Gegensatz zu ihren Geschwistern, der “roten” und der “grünen” Biotechnologie, recht wenig Schlagzeilen. Doch wirtschaftlich gesehen wird sie immer wichtiger. Auch in Deutschland hat die Biologisierung der Wirtschaft schon längst begonnen, wie nicht zuletzt ein Blick in die jährliche Branchenstatistik von biotechnologie.de zeigt (mehr…). Ein großer Bereich ist die Fermentationsindustrie, die die mikrobielle Umwandlung von Kohlenhydraten in eine große Bandbreite an Stoffen wie zum Beispiel Ethanol oder Zitronensäure ermöglicht. Im Gegensatz zu chemischen Verfahren ist die Nutzung von Mikroorganismen als Produktionsfabriken oftmals effizienter und ressourcenschonender.

Den Labormaßstab hat der Sektor dabei längst hinter sich gelassen. 160 Millionen Tonnen Kohlenhydrate werden weltweit jedes Jahr von Mikroorganismen umgesetzt. Deutschland bekommt davon allerdings nur einen geringen Teil ab, wie eine Studie im Auftrag der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) ergab. Hierzulande verstoffwechseln die winzigen Produktionshelfer demnach rund 1,5 Millionen Tonnen an Kohlenhydraten im Jahr. Davon entfallen eine Million Tonnen auf die Bioethanolherstellung und 0,3 Millionen Tonnen auf die Hefeproduktion. Das macht Deutschland innerhalb der EU zum Klassenprimus, innerhalb Europas werden rund 5,5 Millionen Tonnen Kohlenhydrate im Jahr verstoffwechselt. Absolute Spitzenreiter im globalen Maßstab sind aber die USA und Brasilien. Die beiden Länder sind aktuell für mehr als 75% des globalen Konsums von Kohlenhydraten durch Fermentation verantwortlich, wie die Studienautoren feststellen. Der größte Teil wird zu Bioethanol umgewandelt. Ein weiterer Schwerpunkt ist Asien, wo 20 Millionen Tonnen im Jahr zur Umsetzung verbraucht werden. Verarbeitet werden vor allem Zuckerrohr und Zuckerrübe, Mais, Weizen und Maniok.

Weltweiter Preisanstieg macht Deutschland konkurrenzfähig
Ziel der Studie war es, “die Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland als Standort für die Fermentationsindustrie im internationalen Vergleich” auszuloten. Das BMELV wies dazu die Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe an, die die wiederum das Beratungsunternehmen EcoSys GmbH mit der Ausführung beauftragte. Insgesamt unterscheiden die Autoren von EcoSys zehn Produktgruppen, die zusammen das breite Spektrum der Fermentation abdecken: Hefen, Antibiotika, organische Säuren, Aminosäuren, Enzyme, Vitamine und Carotinoide, Polysacharide und Zuckeralkohole, Bioethanol, biobasierte Polymere sowie pharmazeutische Rohstoffe. Auch wenn Deutschland von den Mengen her international nur ein geringes Gewicht ausweist, gibt sich die Studie für die Zukunft zuversichtlich.

Da die Preise für Zucker, Mais und andere biologische Ressourcen in den vergangenen Jahren immer weiter angestiegen sind, lohnt sich der Anbau in Deutschland immer mehr, so ein Fazit der Autoren. Ihre Argumentation: Da die Rohstoffe einen beachtlichen Teil der Kosten bei der Fermentation ausmachen, wird die deutsche Industrie durch den Preisanstieg wieder wettbewerbsfähig. “In der Konsequenz können dann bis zu fünf Millionen Tonnen Zucker pro Jahr in der EU und mehr als zwei Millionen Tonnen in Deutschland zusätzlich zu weltmarktfähigen Preisen produziert und z.B. für industrielle Zwecke angeboten werden”, heißt es in dem 125-seitigen Papier. Bei der Verwendung von Weizen sind nach Einschätzung der Autoren in der EU und Deutschland inzwischen sogar vergleichbare Herstellungskosten wie in den USA möglich.

L-Lysin und Zitronensäure
Asien im Allgemeinen und China im Besonderen werden in der weißen Biotechnologie zudem nicht zwangsläufig eine beherrschende Rolle einnehmen, wie das in anderen Industriebereichen der Fall ist, schreiben die Experten. Aufgrund der Versorgungssicherheit und der Infrastruktur sei vielmehr die EU und hier besonders Deutschland sowie Brasilien und die USA für den weiteren Ausbau der weißen Biotechnologie prädestiniert. Für Deutschland empfehlen die Studienautoren den weiteren Ausbau der Bioethanolherstellung, insbesondere jedoch den Wiederaufbau von Produktionsstätten von Aminosäure L-Lysin sowie von Zitronensäure.

Deutsche Unternehmen produzieren bisher vor allem im Ausland. Erst im September hatte der deutsche Spezialchemie-Konzern Evonik Industries angekündigt, seine Produktionskapazitäten für L-Lysin im US-amerikanischen Bundesstaat Nebraska zu verdoppeln (mehr…). Aber auch pharmazeutische Produkte wie Penicillin könnten in Deutschland mit Gewinn hergestellt werden, schreiben die Verfasser.

Für derlei Kurskorrekturen sei jedoch politische Unterstützung notwendig. Ein “Grundsatzprogramm” sei angebracht, “das die Relevanz der Fermentationsindustrie für Deutschland feststellt.” Zudem müssten gezielt Cluster eingerichtet werden, in denen die einzelnen Prozessschritte konzentriert und damit eine biotechnologische Verwertungskette für Kohlenhydrate etabliert würden. Langfristig großes Potenzial sieht die Studie zudem bei der Verwertung von Lignocellulose. Diese hölzernen Bestandteile der Zellulose sind bisher nur schwer aufzubrechen. Pflanzenreste oder Stroh lassen sich daher bislang nur begrenzt nutzen. Allerdings würde eine größere Verwertungsquote die sich abzeichnende Knappheit bei Zucker- und Stärkeressourcen abmildern und damit unter anderem die Diskussion um ‘Tank oder Teller’ beenden.

Source

biotechnologie.de, 2011-10-20.

Supplier

Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL)
Evonik Industries AG

Share

Renewable Carbon News – Daily Newsletter

Subscribe to our daily email newsletter – the world's leading newsletter on renewable materials and chemicals

Subscribe