Sogenanntes „Bioplastik“ gilt als umweltfreundliche Alternative zu konventionellen, erdölbasierten Kunststoffen. Es kann aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen werden oder kompostierbar sein oder sogar beides. Aber sind diese Biomaterialien weniger bedenklich als herkömmliches Plastik, was ihre chemische Zusammensetzung betrifft? Nein, lautet das Ergebnis der bisher umfassendsten Laborstudie dazu, die heute in der Zeitschrift Environment International erschienen ist. Wissenschaftler*innen um die Forschungsgruppe PlastX haben dafür Alltagsprodukte aus unterschiedlichen Materialien untersucht: Der Anteil an Produkten aus Biomaterialien, der schädliche Chemikalien enthält, ist genauso hoch wie bei Produkten aus erdölbasiertem Plastik.
Plastikprodukte stehen massiv in der Kritik. Schon ihre Herstellung aus fossilem Brennstoff gilt als wenig nachhaltig, das globale Plastikmüllproblem ist ungelöst, und wegen schädlicher Substanzen wie Bisphenol A geraten Alltagsprodukte aus Plastik immer wieder in die Schlagzeilen. Auf der Suche nach Alternativen werden vermehrt neue Materialien entwickelt, die vorteilhaftere ökologische Eigenschaften aufweisen sollen. Dazu gehören Biokunststoffe. Sie umfassen biobasierte Materialien wie Bio-Polyethylen, die aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen, und sogenannte bioabbaubare Materialien, die unter natürlichen Umweltbedingungen abbaubar sind wie Polymilchsäure (PLA). Auch pflanzenbasierte Produkte, die aus natürlichen Polymeren wie Cellulose bestehen, zählen zu den neuen Lösungen. Aber sind diese Biomaterialien, die als nachhaltige Alternative zu konventionellem Plastik vermarktet werden, hinsichtlich ihrer chemischen Zusammensetzung weniger bedenklich?
Drei von vier Produkten enthalten Chemikalien, die in Zelltests negativ auffallen
Dieser Frage ist die Forschungsgruppe PlastX unter der Leitung des ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung gemeinsam mit der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegen und der Goethe-Universität Frankfurt in einer Laborstudie nachgegangen. Es ist die bisher umfassendste Studie, in der Biokunststoffe und pflanzenbasierte Materialien auf ihre chemische Zusammensetzung und Toxizität hin untersucht und mit herkömmlichen Kunststoffen verglichen wurden.
„Um mögliche schädliche Effekte der Chemikalienmischung zu analysieren, haben wir die Substanzen aus den Produkten herausgelöst und in Zelltests eingesetzt“, erklärt Lisa Zimmermann, die Erstautorin der jetzt veröffentlichten Studie. „Die Ergebnisse zeigen, dass die biobasierten bzw. bioabbaubaren Materialien keinesfalls weniger bedenklich sind. Drei Viertel aller untersuchten Produkte enthielten schädliche Chemikalien,“ sagt Zimmermann. „Schädlich heißt in diesem Fall, dass Substanzen toxisch auf Zellen wirken oder hormonähnliche Effekte hervorrufen. Zum gleichen Ergebnis kamen wir bei herkömmlichen Kunststoffen; auch hier enthielten drei von vier getesteten Produkten in diesem Sinne schädliche Chemikalien.“
Chemikalienmix aus bis zu 20.000 Substanzen in Biomaterialen
Unter den 43 untersuchten biobasierten und bioabbaubaren Produkten waren Einweggeschirr, Schokoladenverpackungen, Trinkflaschen, Weinkorken und Zigarettenfilter. Die Untersuchung der Chemikalienmischungen mittels chemischer Analytik zeigte, dass sich in 80 Prozent der Produkte mehr als tausend Substanzen befanden, in einzelnen Produkten sogar bis zu 20.000. „Die pflanzenbasierten Produkte aus Cellulose oder Stärke enthielten dabei die meisten Chemikalien. Auch waren diese am toxischsten, sprich hatten negative Auswirkungen in Zelltests,“ erläutert die Ökotoxikologin.
Vom Rohmaterial zum Endprodukt: Gesamttoxizität steigt
In der Studie wurde einerseits deutlich, dass die untersuchten Endprodukte eine breitere Palette an Substanzen enthielten und eine höhere Toxizität aufwiesen als die Rohmaterialien, aus denen sie hergestellt werden. Der Grund: Beim Prozessieren vom Rohmaterial zum Endprodukt werden neue Substanzen hinzugegeben oder gebildet. Andererseits zeigte jedes biobasierte und bioabbaubare Produkt eine „individuelle“ chemische Zusammensetzung. „Das macht es nahezu unmöglich, allgemeingültige Aussagen zur Sicherheit bestimmter Materialien zu treffen,“ erklärt Co-Autor Martin Wagner von der Universität Trondheim. „Eine lebensmittelechte Tüte aus Bio-Polyethylen kann toxische Substanzen enthalten, ein Weinkorken aus dem gleichen Material muss das nicht zwangsläufig und umgekehrt.“
Chemische Sicherheit von Plastik sollte auf die politische Agenda
Die Studienergebnisse zeigen: „Für Verbraucher*innen ist nicht nachvollziehbar, ob sie im Alltag mit bedenklichem Plastik in Berührung kommen – egal ob konventionell oder „bio“, sagt Carolin Völker, die die Forschungsgruppe PlastX leitet. Die Ökotoxikologin plädiert deshalb dafür, dass die Unbedenklichkeit der verwendeten Substanzen garantiert und somit schon bei der Entwicklung neuer Materialien berücksichtigt wird. „Gerade, weil es einen Trend zu Biomaterialien gibt, gilt es jetzt, die chemische Sicherheit von herkömmlichen Kunststoffen ebenso wie von biobasierten und bioabbaubaren Alternativen auf die politische Agenda zu setzen“, sagt Völker.
Da bisher nicht bekannt sei, welche Auswirkungen der Chemikalienmix in den Kunststoffen konkret auf Mensch und Natur hat, seien zudem weitere Studien im Zuge der Risikoforschung zu Plastik und seinen Alternativen dringend notwendig. Zelltests gäben erste Hinweise, reichten aber allein noch nicht aus, um die Gesundheits- und Umweltauswirkungen umfassend zu bestimmen.
„Um wirklich ganzheitlich bessere Alternativen zu herkömmlichen Kunststoffen zu entwickeln, müssen neben der chemischen Sicherheit zusätzlich auch ökologische und soziale Aspekte berücksichtigt werden, wie beispielsweise Treibhausgasemissionen, Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion und Kreislauffähigkeit“. Auch hier sei beim „Bioplastik“ noch viel Luft nach oben, meint Völker.
Referenz
Are bioplastics and plant-based materials safer than conventional plastics? In vitro toxicity and chemical composition. Lisa Zimmermann, Andrea Dombrowski, Carolin Völker, Martin Wagner (2020). Environment International, https://doi.org/10.1016/j.envint.2020.106066
Über die Forschungsgruppe PlastX
Die interdisziplinäre Nachwuchsgruppe PlastX – Kunststoffe als systemisches Risiko für sozial-ökologische Versorgungssysteme wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Programm „Forschung für nachhaltige Entwicklungen (FONA)“ gefördert. PlastX ist darin Teil der Fördermaßnahme „SÖF – Sozial-ökologische Forschung“ im Förderbereich „Nachwuchsgruppen in der Sozial-ökologischen Forschung“. Seit 2016 untersuchen sechs Wissenschaftler*innen die Problematik von Kunststoffen aus sozial-ökologischer Perspektive. Forschungspartner sind dabei das ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung (Leitung), das Max-Planck-Institut für Polymerforschung (MPI), Abteilung Physikalische Chemie der Polymere und die Goethe-Universität Frankfurt, Abteilung Aquatische Ökotoxikologie.
Wissenschaftliche Ansprechpartnerin
Lisa Zimmermann
Nachwuchsgruppe PlastX
E-Mail: L.Zimmermann@bio.uni-frankfurt.de
Source
Institut für sozial-ökologische Forschung, Pressemitteilung, 2020-09-17.
Supplier
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
Goethe-Universität Frankfurt/Main
ISOE - Institut für sozial-ökologische Forschung
Max-Planck-Institut für Polymerforschung
Norwegian University of Science and Technology
plastX – Researching Plastics
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