Eine neue Synthesemethode in der organischen Chemie ermöglicht die Herstellung zahlreicher Medikamente ohne Einsatz von giftigen Schwermetallen. Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie in Jena (Leibniz-HKI) entdeckten das Prinzip und entwickelten daraus ein als Photosplicing bezeichnetes Verfahren. Es könnte zahlreiche Prozesse in der chemischen Industrie revolutionieren. Die Ergebnisse der Forschungsarbeiten wurden soeben im Fachjournal Angewandte Chemie International Edition veröffentlicht.
Das Team um Christian Hertweck beobachtete im Rahmen einer Synthesestudie, dass sich bestimmte ringförmige Moleküle – sogenannte Bis-Arylsulfonamide – bei Einwirkung von UV-Licht in eine blau fluoreszierende Substanz umwandeln. Analysen ergaben, dass es sich bei dem Reaktionsprodukt um ein sogenanntes Biaryl handelt. Die Verknüpfung erfolgt dabei geometrisch hochselektiv, sodass trotz einer Vielzahl theoretischer Kombinationsmöglichkeiten ein nahezu reines Produkt in hoher Ausbeute entstand. Damit erfüllt die Sulfonamid-Gruppierung in Kombination mit UV-Licht in dem neuen Syntheseverfahren die gleiche Funktion wie bisher verwendete Schwermetall-Katalysatoren. Verunreinigungen des Produktes durch Spuren giftiger Metalle könnten auf diese Weise vermieden werden. Um die Übertragbarkeit der neuen Reaktion in einen größeren Maßstab zu prüfen, haben die Chemiker auch einen geeigneten Reaktor entworfen und unter der Bezeichnung Photosplicer praktisch realisiert.
Die neue Photosplicing-Technologie weist nach ersten Untersuchungen eine große Anwendungsbreite auf. So stellten die Forscher eine ganze Reihe pharmazeutisch wichtiger Biaryle völlig metallfrei her. Darunter befanden sich auch Wirkstoffe von Blockbuster-Präparaten mit mehr als einer Milliarde US-Dollar Jahresumsatz, wie zum Beispiel Blutdrucksenker, Entzündungshemmer, Zytostatika, Schmerzmittel oder Wirkstoffe für neurodegenerative Erkrankungen.
Viele Medikamente, aber auch Agrochemikalien oder die Displays elektronischer Geräte enthalten Biaryle. Dabei sind zwei ringförmige Molekülbausteine über eine einfache chemische Bindung miteinander gekoppelt. Für die Wirksamkeit oder Funktionsfähigkeit der Substanzen ist die exakte räumliche Struktur dieser Moleküle entscheidend. Die beiden Ringe müssen also an der korrekten Position und in der richtigen Ausrichtung zueinander verknüpft sein. Seit Jahrzehnten werden hierfür Schwermetall-Katalysatoren verwendet, meist handelt es sich um Palladium-haltige Verbindungen. Diese herkömmlichen Synthesemethoden, für die es 2010 den Nobelpreis für Chemie gab, haben jedoch Nachteile: Die erforderlichen Metallkatalysatoren sind teuer und Spuren der meist giftigen Verbindungen verbleiben in den Produkten.
Der Jahresumsatz pharmazeutischer Biaryl-Produkte wird auf über 30 Mrd. US-Dollar geschätzt. Allein die weltweit eingesetzten Blutdrucksenker aus der Wirkstoffgruppe der Sartane fallen dabei mit mehreren Mrd. US-Dollar ins Gewicht. Selbst kleinste Verbesserungen in den Herstellungsverfahren bergen daher ein immenses Einspar- oder Gewinnpotenzial.
Teamleiter Christian Hertweck, Abteilungsleiter am Leibniz-HKI und Lehrstuhlinhaber an der Friedrich-Schiller-Universität Jena sagt zur neuen Reaktion: „Wir haben nicht gezielt an der Entwicklung eines neuen Syntheseverfahrens gearbeitet. Es war vielmehr eine Entdeckung am Wegesrand, die unser Team aufmerksam wahrgenommen und deren enormes Potential es alsbald erkannt hat. Solche Entwicklungen lassen sich nicht am Reißbrett planen und in starren Arbeitsplänen realisieren. Ein freier Geist, ein inspirierendes Team und ein kooperatives Umfeld sind die Faktoren, die letztlich zum Erfolg führen – und der glückliche Zufall gehört auch dazu.“
Florian Kloß, Leiter der Transfergruppe Antiinfektiva, meint: „So zufällig die erste Beobachtung der Reaktion auch war, so offensichtlich erschienen uns die Parallelen zu metallkatalysierten Reaktionen. Dennoch waren wir bei den folgenden Untersuchungen überrascht, welch breites Anwendungsfeld sich für diese Technologie eröffnete. Wir sind überzeugt, dass sich noch eine Vielzahl weiterer Stoffe auf diesem Weg herstellen lässt, die wir noch gar nicht im Blick haben. Die Produktion größerer Mengen wertvoller Materialien stellt nun eher eine technische Entwicklungsleistung dar.“
Source
Supplier
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut (HKI)
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