Unternehmen suchen Strategien für die Zeit nach dem Öl

Kongress "Industrial Biotech World Europe 2011" diskutierte globale Trends in Amsterdam

Forscher in aller Welt beschäftigen sich mit den Einsatzmöglichkeiten von nachwachsenden Rohstoffen. Diese sollen künftig das knapper werdende Erdöl ersetzen und die Industrie am Laufen halten. Welche Anwendungen schon heute möglich sind, und welche Herausforderungen es noch zu meistern gilt, darüber tauschten sich Experten aus aller Welt in Amsterdam aus. Dort fand Ende Februar die “Industrial Biotech World Europe 2011” statt.

In der Wirtschaft ist Erdöl kaum zu ersetzen: Allein an den 15 deutschen Raffinieriestandorten können jedes Jahr etwa 120 Millionen Tonnen Rohöl verarbeitet werden. Die aus dem schwarzen Gold hergestellten Produkte schmieren alle Bereiche der Industrie. Egal ob Benzin für das Auto, Textilfaser im Pullover, Grundstoff in der Kopfschmerztablette oder Plastikbecher für Joghurt, viele Alltagsprodukte wären ohne den Ausgangsstoff Erdöl nicht herzustellen. In der Zukunft könnte das zum Problem werden, denn die Erdölvorräte der Erde sind nicht unerschöpflich.

Hinzu kommt insbesondere auch in Deutschland ein immer weiter erstarkendes Umweltbewusstsein und damit einhergehend die wiederholte politische Forderung nach einem nachhaltigen Wirtschaften. Um sich für die Zeit nach dem Öl zu rüsten, sind Ideen gefragt. Deshalb verkündete die Bundesregierung erst im November vergangenen Jahres die “Nationale Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030” (mehr…). Damit ist Deutschland weltweit Vorreiter. In den kommenden sechs Jahren sollen mit 2,4 Milliarden Euro entscheidende Weichen gestellt werden, um die Bundesrepublik zu einer nachhaltigen, bio-basierten Wirtschaft zu entwickeln.

Wie der Wandel von einer Erdöl-getriebenen Industrie zu einem an natürlichen Stoffkreisläufen orientierten Wirtschaftssystem gestaltet werden kann, stand in Amsterdam im Fokus des Interesses. Auf dem Kongress “Industrial Biotech World Europe 2011” trafen sich Ende Februar Politiker, Wissenschaftler und Unternehmensvertreter aus aller Welt, um sich über die Zukunft der industriellen Biotechnologie auszutauschen. Dabei wurde deutlich, dass das Thema derzeit bei der Politik hoch im Kurs steht. Die Europäische Union beispielsweise sieht sich auf dem Weg zur “wissensbasierten Bioökonomie”.

“Wir brauchen einen kohärenten und ganzheitlichen politischen Rahmen um hier erfolgreich zu sein”, sagte Maive Rute, die bei der Europäischen Kommission für Biotechnologie, Landwirtschaft und Nahrungsmittel zuständig ist. Die Biotechnologie gilt dabei der EU-Kommission als Schlüssel zu einer wissensbasierten Bioökonomie. Mehr als 500 Millionen Euro flossen in diesem Bereich seit 2007 in 61 verschiedene Projekte mit mehr als 730 beteiligten Akteuren. Rute betonte, dass dabei auch die Beteiligung der Öffentlichkeit wichtigen Raum ein nehme. Erst kürzlich habe die Kommission einen neuen, öffentlichen Konsultationsprozess zu diesem Thema gestartet, bei dem sich jeder EU-Bürger zu Wort melden könnte (mehr…).

Auch für die EU-Mitgliedsstaaten ist die Bioökonomie ein wichtiges Thema, erklärte Roel Bol, der im niederländischen Ministerium für Wirtschaftliche Angelegenheiten, Landwirtschaft und Innovation die Biobasierte Ökonomie koordiniert. “Für unsere Wirtschaft ist die erfolgreiche Gestaltung des Wandels zur Bioökonomie eine der wichtigsten Prioritäten.” Ein besonderer Schwerpunkt liege für sein Land dabei auf den hochwertigen biobasierten Produkten für Pharma- und Kosmetikindustrie. Trotzdem sei auch die Entwicklung von neuen Verfahren für die Biokraftstoff-Herstellung eine der Stärken der niederländischen Wissenschaft, betonte Bol in seinem Vortrag.

Damit folgen die EU und ihre Mitglieder einem weltweit zu beobachtenden Trend: Statt weiterhin auf das endliche Öl zu setzen, wird versucht, Ersatz mit nachwachsenden Rohstoffen zu schaffen. Auch China drängt in den jungen Markt. Für Xiucai Liu, dem Chef der chinesischen Cathay Industrial Biotech-Gruppe, gibt es gute Argumente, warum Unternehmen aus aller Welt in China investieren sollten: “China braucht erneuerbare Rohstoffe für seine Industrien” Seine Firma verkauft unter anderem Biobutanol, ein wichtiges Lösungsmittel und Ausgangstoff für viele Chemieprodukte. “China wird die industrielle Biotechnologie weiter fördern”, betonte er in Amsterdam.

Nachhaltige Produkte noch häufig teurer
Auf der Konferenz waren sowohl etablierte Großkonzerne als auch kleine, aufstrebende Start-Ups vertreten. Vor allem die jungen Unternehmen nutzten ihre Präsentationen, um mit neuen Ideen und innovativen Produkten zu überzeugen. Die niederländische SkyNRG etwa, die Flugbenzin aus nachwachsenden Rohstoffen herstellen kann. Firmenchef Dirk Kronemeijer ist überzeugt: “Wenn ein Industriezweig nachwachsende Rohstoffe verdient hat, dann ist es die Luftfahrt.” Denn während bei Autos Wasserstoff- oder Elektroantriebe verbaut werden können, sind Flugzeuge auf die hohe Energiedichte in flüssigen Treibstoffen angewiesen.

Die ersten fünftausend Tonnen des “grünen” Flugbenzins will das Unternehmen noch im Jahr 2011 produzieren. Als Ausgangsstoff wird derzeit altes Frittierfett aufbereitet, sobald jedoch die Produktion ausgeweitet wird, soll auf andere, ebenfalls nachhaltige Rohstoffe umgestellt werden. Dass das Gemisch nicht nur genau so gut funktioniert wie gewöhnlicher Treibstoff , sondern sich auch problemlos mit ihm mischen lässt, konnten die Holländer bereits in der Vergangenheit zeigen. So absolvierte ein Helikopter der niederländischen Luftwaffe im Sommer 2010 einen Testflug mit dem neuen Treibstoff ohne Probleme.

Einziges Manko: Bisher kostet das grüne Kerosin zwei- bis vier Mal mehr als das konventionelle, erdölbasierte Pendant. Dennoch gelingt es dem holländischen Unternehmen, Partner für sein Produkt zu begeistern: Die Fluggesellschaft KLM ist bereit, den wesentlich teureren Sprit zu kaufen. Aber auch potentielle Endkunden lassen sich von der Idee überzeugen. Kronemeijer berichtete in Amsterdam von einer Großbank, die für das Projekt gewonnen werden konnte. Das Kalkül der kühlen Rechner: Statt wie bisher beim Ticketkauf einen Aufschlag zu zahlen, um den CO2-Ausstoß zu neutralisieren, könnte das Geld auch darauf verwendet werden, diesen Ausstoß gleich zu verhindern. Weil der SkyNRG-Sprit aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt wird, gelangt immer nur so viel CO2 in die Atmosphäre, wie die Pflanze während des Wachstums gebunden hat.

Verbraucher wollen das Beste aus zwei Welten
Trotzdem zeigten sich andere Industrievertreter in der niederländischen Metropole skeptisch, ob der Endverbraucher generell einen Preisaufschlag für den Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen akzeptieren würde. “Natürlich möchten Verbraucher grüne Produkte, aber sie werden dafür weder einen höheren Preis noch eine schlechtere Performance im Vergleich zum konventionellen Produkt akzeptieren”, glaubt Matthijs Ruitenbeek, der bei einem niederländischen Tochterunternehmen des US-Chemie-Riesen Dow Chemicals arbeitet. “Kurz gesagt: Sie wollen das Beste aus zwei Welten.”

Gerade die etablierten Großkonzerne haben aber noch ein anderes Problem mit den Biorohstoffen. Sie haben in der Vergangenheit Milliarden in den Aufbau von riesigen, erdölbasierten Produktionsanlagen gesteckt, brauchen nun also vor allem kompatible nachwachsende Rohstoffe. Entsprechend ging es in Amsterdam auch um die Frage, wie sich Bioraffinerien aufbauen und betreiben lassen. Wertvolle Erfahrungsberichte konnte Klaus Neumann liefern, der beim norwegischen Konzern Borregaard beschäftigt ist. Ursprünglich war Borregaard ein klassisches Unternehmen der Forstindustrie, inzwischen betreiben sie auch Bioraffinerien, die aus dem Holzschnitt wichtige neue Rohstoffe herstellen.

Der Kongress zeigte: Egal ob Flugbenzin, Bioplastik oder Rohstoffe für die chemische Industrie, in Europa existieren viele verschiedene Ideen, um die Abhängigkeit vom Rohöl zu verringern. Häufig jedoch verhindern ökonomische Erwägungen die rasche Umsetzung. Solange ein Umschwenken auf die nachhaltigen Rohstoffe zum unkalkulierbaren finanziellen Risiko wird, verharren viele Projekte in der Startphase. Bei den Kongressteilnehmern herrschte Uneinigkeit darüber, ob der Staat den Wandel zur Bioökonomie nicht mit Steuererleichterungen oder Subventionen beschleunigen könnte. Christophe Luguel, internationaler Koordinator beim fränzösischen Spitzencluster “Pôle Industries & Agro-Ressources”, argumentiert: “Die Besteuerung ist normalerweise ein negatives Moment, auch Subventionen setzen häufig falsche Anreize.”

Während einer Podiumsdiskussion in Amsterdam entwickelten die Experten einen Vorschlag, wie sich dieses Dilemma lösen ließe. Statt dauerhaft die Anbieter (durch Subventionen) oder Nachfrager (durch Steuervergünstigungen) zu entlasten, könnte der Umstellungsprozess selbst gefördert werden. Hier könnte Deutschland als Vorbild dienen. So berichtete Ullrich Kettling von der Süd-Chemie AG: ” Der Bau unserer Demonstrationsanlage wird durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt”. Die Anlage in München-Straubing soll ab Ende 2011 aus Stroh Bioethanol herstellen – der dann als Kraftstoff dem Benzin beigemengt werden könnte (mehr…).

Source

Biotechnologie.de, 2011-03-02.

Supplier

Borregaard
Cathay Industrial Biotech Ltd.
Dow Chemical Company
European Commission
European Union
SkyNRG
Süd-Chemie

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