Unbestellte Äcker sind bei teurem Rohöl ein Anachronismus

Die Europäische Union erstickt an ihren Agrarsubventionen, weil und obwohl sie seit Jahrzehnten Überschüsse produziert. Biokraftstoffe bieten einen Ausweg aus dem unsinnigen Subventionssystem, meint Claus Sauter nachfolgend. Der Unternehmer und Betreiber von Produktionsanlagen für pflanzliche Kraftstoffe stößt jedoch auf vielerlei Vorbehalte und – gerade beim Bioethanol – auf unüberwindbare bürokratische Hürden.

Was hat Brüssel nicht alles unternommen, um die Agrarüberschüsse in den Griff zu bekommen. Die EU-Kommission versucht seit Jahrzehnten den Markt zu regulieren und ihn in die Balance zu bringen: Flächenprämien, Stilllegungsprogramme oder die Übernahme der Getreide-, Trockenmilch-, Fleisch- und Alkoholüberschüsse zu garantierten Mindestpreisen. Ohne Erfolg.

Ständig lagern in Deutschland mehrere Millionen Tonnen Getreide in staatlichen Interventionslagern, die Monat für Monat Millionen Euro verschlingen. Mit Exporterstattungen wird dieses Getreide schließlich soweit herunter subventioniert, bis es auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig ist.

Knapp die Hälfte des EU-Haushaltes fließt in derartige Marktregulierung, und je größer das Marktungleichgewicht zwischen Bedarf und Erzeugung im jeweiligen EU-Mitgliedsstaat ist, desto höher die Subventionen. Genau das ist der Kern der aktuell wieder aufkeimenden Streitigkeiten innerhalb der EU. Frankreich profitiert am stärksten vom Status quo und versucht Subventionskürzungen um jeden Preis zu verhindern.

Europa produziert zu viel Agrarprodukte für den Nahrungsmittelbereich. Ein Luxusproblem, für das es ein perfektes Ventil gibt: Biokraftstoffe.

Beim richtigen Einsatz pflanzlicher Kraftstoffe geht die Lösung des Überschussproblems mit positiven Klimaeffekten und zunehmender Unabhängigkeit von mineralischem Rohöl einher.

Stilllegungsflächen, die für den Nahrungsmittelanbau nicht mehr benötigt werden, sind brachliegende Ressourcen. Sie sind nicht mehr zeitgemäß bei Rohölpreisen von 60 $ je Barrel (158,99 l) und mehr. Was spricht dagegen diese Flächen für den Anbau von Energiepflanzen zu nutzen? Wieso sollten wir die Getreideüberschüsse nicht zu Kraftstoffen verarbeiten?

Genau diese Fragen haben sich Unternehmer Anfang 1990 gestellt. Seit 1994 befassen sie sich deshalb mit Biodiesel, seit 2001 auch mit Bioethanol. Unter dem Motto “agriculture for industry” verfolgen wir das Ziel, großvolumige industrielle Absatzkanäle für die landwirtschaftliche Überproduktion zu schaffen. Während das beim Biodiesel inzwischen gut läuft, bleibt Bioethanol ein Sorgenkind.

Bioethanol wird mittlerweile in EU-Staaten und vor allem in Nord- und Südamerika in erheblichen Mengen dem Benzin beigemischt. Dagegen kommt die Beimischung hierzulande nicht richtig voran.

Jüngst erklärte Dr. Klaus Picard, Präsident des Mineralölwirtschaftsverbandes (MWV), eine flächendeckende Zumischung von Bioethanol werde es in Deutschland nicht geben. Es bleibt zu fragen: Warum bloß?

Die Mineralölindustrie führt Dampfdruckanomalien bei der Zumischung von Ethanol zu Ottokraftstoff ins Feld, Probleme mit Wasser in ihren Systemen, den grundsätzlich rückläufigen Markt für Ottokraftstoff und Einschränkungen bei der Transportlogistik. Ohne diese Probleme näher bewerten zu wollen, muss die Frage erlaubt sein, wie Mineralölkonzerne andernorts, wo sie die Zumischung praktizieren, mit diesen Problemen umgehen?

Bleibt es bei der Abwehrhaltung der Mineralölwirtschaft, dann wird Bioethanol scheitern. Mittlerweile sind in Deutschland ca. 350 Mio. € in den Bau drei neuer Bioethanolanlagen investiert worden, die jährlich etwa 1,7 Mio. t Getreide zu rund 500.000 t Bioethanol verarbeiten könnten. Aber sie können ihren Betrieb nicht aufnehmen, solange die Zumischung zu Ottokraftstoff nicht gelöst ist. Ohne Direktzumischung wird es keine Ethanolproduktion in Deutschland geben.

Branntweinsteuer des Fiskus macht Bioethanolerzeuger kaputt

Und noch ein Schuh drückt gewaltig. Unvergällter Bioethanol unterliegt dem Branntweinmonopol: die Branntweinsteuer beträgt 13,03 €/l. Als Kraftstoff kostet Bioethanol ca. 0,50 €/l. Die Steuer entspricht also dem 26fachen Warenwert. Das Branntweinmonopolgesetz schreibt zur Sicherstellung der Branntweinsteuer zudem den Brennereien eine Sicherheitsleistung vor. Minimal sind das ein Zweiundsiebzigstel der Jahresproduktion mal Branntweinsteuer.

Für unsere Anlage in Schwedt, Brandenburg, mit 200.000 m3 Alkohol Jahresproduktion bedeutet dies, dass wir im Minimum 36,2 Mio. € als Sicherheitsleistung zu zahlen hätten. Für Mittelständler schier ein Riesenproblem. Aber das ist Gesetz und daran gibt es augenblicklich nichts zu rütteln.

Der Bundesfinanzminister ist aufgefordert, industrielle Bioethanolanlagen zur Kraftstoffproduktion zügig von den gigantischen Sicherheitsleistungen zu befreien. Ansonsten gehen die betroffenen mittelständischen Unternehmen kaputt und damit auch die dortigen Arbeitsplätze.

Die sehr positiven politischen Signale in Deutschland und auf EU-Ebene zum Einsatz von Biokraftstoffen und wegen der weltweit guten Erfahrungen beim Einsatz von Bioethanol waren die genannten Probleme nicht zu erwarten. Es muss sich in den nächsten Monaten zeigen, welcher Ausweg aus diesen Dilemmas gefunden werden kann. Die Politik spielt eine entscheidende Rolle bei der weiteren Ausgestaltung bzw. Entwicklung der Biokraftstoffproduktion in Deutschland.

Das Klimaschutzpotenzial spielt in den Diskussionen um Biokraftstoffe eine wichtige Rolle. Häufig wird dabei angeführt, brasilianisches Ethanol schone das Klima “billiger”, weil es rund ein Drittel billiger produziert wird als europäisches. Wenn es allein darum geht, den Kohlendioxidausstoß zu reduzieren, dann ist es natürlich richtig. Tatsache ist aber auch, dass in Südamerika sowohl unter anderen klimatischen Verhältnissen als auch Umweltbedingungen produziert wird als in Europa.

In den Diskussionen sollten nicht Äpfel mit Birnen verglichen werden. Bei dieser Argumentation müssten wir konsequenterweise auch alle unsere Nahrungsmittel vom Weltmarkt beziehen, denn diese werden dort auch billiger produziert als bei uns. Damit kämen wir aber bei der Nahrungsmittelversorgung in die gleiche Abhängigkeit, die wir im Energiesektor schon haben. Man kann das Eine tun ohne das Andere zu lassen. Wir sollten vorhandene Ressourcen an nachwachsenden Rohstoffen und landwirtschaftlichen Flächen in Mitteleuropa weiterhin sinnvoll nutzen.

Obwohl sie teurer sind als Billigimporte, macht hier erzeugter Biokraftstoff volkswirtschaftlich Sinn. Denn die Nutzung der Getreideüberschüsse kommt die EU langfristig weit billiger als das bisherige Interventionspreissystem. Der neue Absatzmarkt für die Bauern kann den EU-Haushalt dauerhaft von Agrarsubventionen entlasten. Vor diesem Hintergrund sehen wir die Befreiung pflanzlicher Kraftstoffe von der Mineralölsteuer überhaupt nicht als Subventionierung – im Gegenteil. Biokraftstoff ist keine neue Subventionierung, sondern ein Ansatz vorhandene Subventionierungssysteme zu beseitigen und dazu beizutragen, dass der Agrarsektor wieder über Angebot und Nachfrage zu fairen Preisen findet.

Die faire Preisfindung für landwirtschaftliche Erzeugnisse wird aber von der EU und den USA auf dem Weltmarkt durch ihre Exportsubventionen verhindert. Vor jeder neuen Ernte verhökern sie ihre Überschüsse um jeden Preis am Weltmarkt – und führen damit nicht zuletzt ihre Entwicklungshilfe für Agrarstaaten der Dritten Welt ad absurdum.

Biokraftstoffe könnten Druck aus dem Markt nehmen. Denn mit jedem Dollar, den der Ölpreis steigt, wird die Verwendung pflanzlicher Energieträger interessanter. Unsere Vorfahren haben Rohstoffe aus dem Boden genommen und verbrannt. Darin sind wir ihnen gefolgt. Doch heute bietet sich uns die Chance, neue Wege zu gehen. Ich bin der Meinung, die Energiegesellschaft des 21. Jahrhunderts sollte endlich damit anfangen – weltweit.

Der 3. Internationale Fachkongress für Biokraftstoffe “Kraftstoffe der Zukunft 2005” findet am 14./15. November in Berlin statt. Veranstalter sind der Bundesverband BioEnergie und die Union zur Förderung von Oel- und Proteinpflanzen. Infos im Internet: www.bioenergie.de.

Claus Sauter
hat sich in 15 Jahren im Bereich Bioenergie einen Namen gemacht. Der??Diplomkaufmann (39) reüssierte mit den Unternehmen der Sauter Gruppe, Obenhausen bei Ulm, und seiner Beteiligung an der Swiss BioEnergy AG, St. Gallen, u.a. beim Bau und Betrieb großtechnischer chemischer Anlagen zur Produktion biogener Kraftstoffe und dem Handel mit Biodiesel und Bioethanol.

Seit 2000 baute er in Sachsen-Anhalt und in Brandenburg vier Großanlagen. Begonnen hat es für Sauter 1990 mit der Übernahme der väterlichen Firma, der Alois Sauter Landesproduktengroßhandlung GmbH & Co, mit zehn Mitarbeitern. Heute arbeiten rund 400 Beschäftigte in seinen Firmen, die 2004 insgesamt einen Umsatz von 350 Mio. € erwirtschafteten.

(Vgl. Meldungen vom 2005-10-27 und 2005-06-29.)

Source

VDI nachrichten vom 2005-11-11.

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