Schnelle Kohle aus Pflanzen – neuer Energieträger?

Wir kennen Kohle als fossilen Energieträger, die mittels natürlicher Druckerwärmung innerhalb von Jahrmillionen aus Pflanzenrückständen entsteht. Durch Zufall entdeckte jüngst ein deutscher Forscher ein Verfahren, mit dem das in ein paar Stunden möglich wird. Nun fehlt nur noch die Anwendung.

Kohle aus dem Dampfdrucktopf

Es sieht noch nach einem Pinienzapfen aus, aber es ist ein Stück Braunkohle in Form eines Pinienzapfens: Es entstand über Nacht in einem stählernen Dampfdrucktopf bei 200°C.

Die Methode ist denkbar simpel, so Professor Markus Antonietti vom Max-Planck-Institut (MPI) in Golm: Nachdem Pflanzenteile zusammen mit einem Katalysator wie Zitronensäure oder einem Eisensalz in einem Druckbehälter erhitzt wurden, liefert die Reaktion selbst kurzfristig so viel Wärme, dass sie sich autonom vorantreibt. Innerhalb kurzer Zeit entsteht zunächst ein an Erdöl erinnerndes Zwischenprodukt, welches nach ein paar Stunden eine Torfartige Substanz erhält und schließlich als Braun- und Steinkohle entnommen wird.

Antonietti nennt diese Verkohlung im Druckbehälter “Hydrothermale Karbonisierung (HTC)” , wobei der chemische Vorgang selbst noch ein Rätsel darstellt. “Die Reaktion ist im Wesentlichen noch immer unverstanden. Eigentlich passiert nichts weiter, als dass den Kohlenhydraten einer Pflanze das Wasser entzogen wird. Entgegen den Erwartungen läuft diese Abspaltung auch in Anwesenheit von Wasser ab”, erklärt der Wissenschaftler. Die Reaktion selbst sei aber nicht so wichtig, sondern eher das, was man daraus machen kann, ist Antonietti überzeugt.

Diese Frage bleibt allerdings noch zu beantworten. Immerhin besitzt die Instantkohle zwei Vorteile: Nach Antonietti lassen sich für die feinen Kohlenstoff-Nanopartikel etliche Anwendungen in der Industrie finden, zum anderen schätzt der Forscher die Ausbeute der in der Pflanze gespeicherten Energie auf 70 Prozent.

Effiziente Produktion von flüssigem Kraftstoff

“In unserem Verfahren werden fast 100 Prozent des im Material gebundenen Kohlenstoffs zu Kohle umgewandelt”, gibt Antonietti an. Hierdurch ließe sich flüssiger Kraftstoff effizienter als bei herkömmlichen Verfahren herstellen. So sei z.B. der Ertrag von Biodiesel relativ unspektakulär, da pro Hektar Land etwa 3,2 Tonnen Rapssamen anfielen, aus denen wiederum eine Tonne Diesel verestert wird. “Mit HTC könnte man durch ein Biomass-to-Liquid Verfahren (BtL) aus einem Hektar Anbaufläche 20 Tonnen Kohlenstoff beziehungsweise zehn Tonnen Treibstoff herstellen.”

Derk Jan Swider vom Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER) in Stuttgart nimmt solche Statements mit Vorsicht auf. Nach seiner Meinung kann Biomasse nur ungefähr die Hälfte des Heizwerts von Steinkohle enthalten. “Ich glaube nicht, dass ein Zwischenschritt wie die Umwandlung von Biomasse zu Steinkohle, wie sie Antonietti durchführt, die Wirtschaftlichkeit erhöht.” Allerdings lenkt Swider ein, dass ihm für eine qualifizierte Bewertung noch etliche Informationen fehlen.

Der Leiter des Instituts für Energietechnik, Alfons Kather, berechnet an der Technischen Universität Hamburg-Harburg Energiebilanzen für Kraftwerke. “Die HTC ist nur der erste Schritt zu einem Kraftstoff. Erst wenn der gesamte Prozess von der Pflanze zum Benzin energetisch “en détail” betrachtet worden ist und dann noch sinnvoll erscheint, erst dann könnte dieses Verfahren bahnbrechend sein”, sagt Kather.

Vielleicht klimafreundliche Schnellkompostierung?

Nach Antonietti könnte das HTC-Verfahren auch zur klimafreundlichen Schnellkompostierung von Biomasse verwendet werden. Im natürlichen Verottungsprozess wandeln sich üblicherweise nur zehn Prozent des Pflanzenmaterials zu Torf, der Rest geht als ungebundenes Kohlendioxid in die Atmosphäre. Durch das HTC-Verfahren bleibt der Kohlenstoff gebunden.
“Torf ist mein Favorit unter den Möglichkeiten, Biomüll zu verwerten”, sagt Antonietti.

Immerhin könnten die 115.000 Tonnen Biomüll, die allein in Berlin pro Jahr anfallen, so zu Torf verarbeitet werden auf dem sich schnell wachsende Pflanzen wie Schilf anbauen ließe, sodass zusätzlich Kohlendioxid aus der Luft gebunden wird.

Antonietti: “Da wir so eine negative Kohlendioxidbilanz erhalten, ist HTC ein attraktives Verfahren zum Handel mit CO2-Zertifikaten.”

Kohlenstoff-Nanopartikel: Ein Hightech-Werkstoff

Nach Antonietti könnten Kohlenstoffpartikel sich auch als Hightech-Werkstoff eignen, denn kurz vor der Verdichtung zur Kohle besteht das Ausgangsmaterial aus winzigen Nano-Kügelchen von 20 bis 200 Millionstel Millimeter Durchmesser. “Diese Größe wird gerne von Tintenpatronenherstellern oder in der Reifenindustrie genutzt. Zucker als Ausgangsstoff ist dreimal billiger als das üblicherweise verwendete Polystyrol”, ist Antonietti überzeugt.

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Source

Financial Times Deutschland ("Schnelle Kohle") vom 2006-08-17.

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