“Raus aus der Nische – rein in den Massenmarkt”. Mit solchen Schlagworten wirbt die Biokunststoff-Branche in diversen Fachzeitschriften und auf Kongressen. Dies sollte Grund genug für Unternehmen aus der Kunststoffbranche sein, sich mit diesem Thema näher zu beschäftigen. Die Reifenhäuser GmbH & Co. KG Maschinenfabrik in Troisdorf ist eines der ersten deutschen Maschinenbau-Unternehmen, die sich mit der tatsächlichen globalen Marktsituation der Biokunststoffe verstärkt auseinandersetzen: Im vergangenen Jahr wurde die nova-Institut GmbH in Hürth, die seit über fünfzehn Jahren Marktforschung im dem Bereich Biowerkstoffe – Biokunststoffe, WPC und Naturfaserverstärkte Kunststoffe – betreibt, mit einer umfangreichen Studie beauftragt.
Im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen Biokunststoffe zumeist als einfache Einkaufstüten, besonders die Verbraucher- und Umweltverbände im europäischen Ausland, aber auch in Nordamerika und Asien, fordern diese Bio-Tüten überall dort, wo noch kostenlose Beutel in großer Zahl über die Ladentheke gehen und zu einem Müllproblem werden.
Aber den Biokunststoffen steht heute ein viel breiteres, hochwertiges Anwendungsspektrum offen: Die klassischen und ältesten Anwendungen sind im medizinischen Bereich die abbaubaren Implantate und Operationsmaterial. Dieser sehr anspruchsvolle Markt besteht jedoch nur aus wenigen etablierten Produkten und Akteuren.
Recht erfolgreich konnten sich Biokunststoffe im Verpackungs- und Hygienesektor positionieren. Vor allem kompostierbare Bioabfallbeutel sind in Deutschland weit verbreitet und stellen im Einzelhandel oft bereits ohne Alternative da. Große Potenziale werden auch bei Tragetaschen und Lebensmittelverpackungen gesehen, obwohl hier der Wettbewerb durch etablierte Biowerkstoffe wie Pappe und Baumwolle groß ist. Nicht nur die aufstrebenden Bio-Supermärkte bieten alternativ und preisneutral Einkaufstüten aus Biokunststoffen an, sondern bereits auch Mode- und Outdoor-Geschäfte. Im Bereich des Garten- und Landschaftsbaus können Biokunststoffe durch ihren technischen Mehrwert – vor allem ihrer Kompostierbarkeit – punkten.
Neue Einsatzgebiete mit großem Potenzial sieht das nova-Institut in dauerhaften Anwendungen im Bereich der Konsumgüter-, Möbel-, Elektro- und Elektronikindustrie sowie im Automobilbereich. Beispiele hierfür sind Bio-Duroplaste, naturfaserverstärkte Bio-Thermoplaste, Schäume und Textilfasern. Diese Materialien sind teilweise schon als Produkte am Markt verfügbar, werden vom Kunden aber oft nicht als solche wahrgenommen.
Aktuelle Mengen und Akteure – Westeuropa führend!
Die wichtigsten Märkte für Biokunststoffe liegen heute in Westeuropa. Nach der Erhebung des nova-Instituts lag der Verbrauch an biologisch abbaubaren Biokunststoffen in Westeuropa im Jahr 2007 bei ca. 60.000 – 70.000 Tonnen, was einem Marktanteil von unter 1% entspricht. Die Wachstumsraten sind zweistellig und erreichen in einigen Bereichen bis zu 50% pro Jahr. Wichtigste Biokunststoffe sind dabei Thermoplastische Stärken (TPS) bzw. Stärkeblends, extrudierte Stärke, Cellulose-Acetate und Polymilchsäure-Polymere (PLA) (in der Reihenfolge ihrer Marktanteile). Alle weiteren Biokunststoffe wie Polyhydroxyalkanoate (PHA) machen zusammen weniger als 5% aus. Die meisten Experten sehen für PLA die größten Wachstumschancen.
Das nova-Institut ermittelte auch die weltweiten Produktionskapazitäten für biologisch abbaubare Biokunststoffe. Diese lagen im Jahr 2007 bei ca. 265.000 t (Abb. 2). Viele Experten gehen davon aus, dass Nordamerika mit dem weltweit führenden Produzenten von PLA (Nature Works), die größten Produktionskapazitäten besitzt. Die Marktanalyse zeigte dagegen, dass Europa mit 140.000 t Produktionskapazität vorne liegt und Nordamerika erst mit 80.000 t folgt. Die Diskrepanz erklärt sich vor allem dadurch, dass einige in den USA genannten Produktionskapazitäten de facto wegen technischer Probleme dem Markt nicht zur Verfügung stehen und dementsprechend nicht mitgezählt wurden. In Westeuropa sind also derzeit die größten realen Produktionsmengen vorhanden und die wichtigsten Hersteller ansässig.
Die weltweite, aktuell tatsächlich verfügbare Produktionskapazität von 265.000 t für biologisch abbaubare Biokunststoffe teilt sich auf über 100 Unternehmen auf, von denen bislang nur wenige eine relevante Menge erreicht haben. Die vier größten sind Nature Works (USA), Novamont (I) und Biotec (D) mit SPhere (F).
Diese Produktionskapazität von 265.000 t genügt nicht, um die wachsende Nachfrage zu befriedigen. Engpässe gibt es dabei nicht nur bei den eigentlichen Biokunststoff-Produzenten sondern auch bei notwendigen Additiven aus der Chemischen Industrie. Dementsprechend schlecht ist die Verfügbarkeit von Biokunststoffen, selbst die Bemusterung kann schon zum Problem werden.
Das weitere Wachstum wird maßgeblich vom Aufbau weiterer Kapazitäten bestimmt. In den USA, Europa und Asien ist der Bau neuer Kapazitäten angekündigt und auch in Deutschland gibt es konkrete Pläne für eine PLA-Produktion.
Zukünftige Marktentwicklung – alle Indikatoren zeigen nach oben
Die weltweit erfolgreiche Markteinführung von Biokunststoffen konnte die Branche bis heute mit nur geringer staatliche Förderung realisieren – ganz im Gegensatz zu den Biokraftstoffen. Geeignete Rahmenbedingungen wären allerdings für eine zügige und großflächige Markteinführung hilfreich. Die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland verändern sich jedoch nur langsam zugunsten von Biowerkstoffen. Ein erfreuliches Beispiel ist, dass laut neuer Verpackungsverordnung Flaschen aus Biokunststoffen bis 2010 von der Pfandpflicht befreit werden sollen.
In vielen Ländern der EU, USA, Australien und Asien wächst das Bewusstsein, dass Biokunststoffe vor allem im Verpackungsbereich eine sinnvolle Alternative darstellen. Erste Maßnahmen, wie das Verbot von nicht abbaubaren Plastiktüten, wurden bereits in Frankreich bzw. Italien (ab 2010), Indien und San Francisco (ab 2008) eingeführt. Auch Australien und China wollen den Gebrauch solcher Tüten untersagen.
Biokunststoffe haben in der Öffentlichkeit und Politik ein sehr positives Image und werden besonders von der in westlichen Ländern wachsenden Gruppe der LOHAS (“Lifestyle of Health and Sustainability”) akzeptiert und geschätzt, also Menschen, die ihre Lebensweise und ihren Konsum auf Gesundheit und Nachhaltigkeit ausrichten. Erste Ökobilanzen zeigen Vorteile gegenüber Erdöl-basierten Standardkunststoffen. Neue Studien zeigen zudem die erheblichen ökologischen Folgen von Kunststoffabfällen im Meer, die nur durch abbaubare Werkstoffe überwunden werden können.
Der Biokunststoffgesamtmarkt wird nach Expertenmeinung auch in den nächsten Jahren zweistellig wachsen und die Produktionskapazitäten werden sich bis 2011 voraussichtlich vervierfachen. Biokunststoffe werden sich aber nach heutigem Stand der Technik in absehbarer Zeit zu keiner echten Konkurrenz gegenüber Massenkunststoffen wie PE, PP oder PVC entwickeln – wohl aber zu einer ernsthaften Alternative und Ergänzung in technischen Nischen, bei kurzlebigen Artikeln und für verbrauchernahe Produkte.
Für die Reifenhäuser GmbH & Co. KG Maschinenfabrik bedeutete das Ergebnis der Studie, dass in den nächsten Jahren das Interesse an Maschinen steigen wird, die Biokunststoffe verarbeiten können. Die zur Kunststoffmesse K’07 von Reifenhäuser gezeigten Anlagen sind heute schon auf den Einsatz von Biokunststoffen zugeschnitten.
Über Biokunststoffe
Bei Biokunststoffen handelt es sich nicht um eine einheitliche Polymerklasse, sondern um eine große Familie unterschiedlichster Kunststoffarten. Dabei wird der Begriff unterschiedlich verstanden: Zum einen werden unter Biokunststoffe biologisch abbaubare Kunststoffe verstanden, zum anderen Kunststoffe, die primär auf Basis von Agrarrohstoffen hergestellt werden. In den meisten Fällen überschneiden sich beide Definitionen.
Im Fokus der Betrachtung liegen meist biologisch abbaubare Kunststoffe, wobei diese je nach Rezeptur vollständig bis schwer abbaubar sind. Die Rohstoffbasis besteht hauptsächlich aus Nachwachsenden Rohstoffen wie Stärke, Zucker und Cellulose. Die derzeitig größte Marktrelevanz in diesem Segment besitzen Thermoplastische Stärke (TPS) bzw. Stärkeblends, extrudierte Stärke, Cellulose-Acetate, Polymilchsäure-Polymere (PLA) und Polyhydroxyalkanoate (PHA). Bei dauerhaften Biokunststoffen kommen oft Pflanzenöle als Rohstoff zum Einsatz.
In jüngerer Zeit verfolgen einige Unternehmen die Strategie, die fossile Rohstoffbasis etablierter Standardthermoplaste durch eine erneuerbare Rohstoffbasis zu ersetzen; Beispiele hierfür sind Bio-PE und Bio-PP auf Basis von Zuckerrohr in Brasilien.
Die “Marktanalyse Biokunststoffe – Verfügbarkeit – Akteure – Märkte – Trends” wurde im Auftrag der Firma der Firma “Reifenhäuser GmbH & Co. KG Maschinenfabrik” im Jahr 2007 durchgeführt. Autoren sind Christian Gahle, Michael Carus und Matthias Geuder vom nova-Institut in Zusammenarbeit mit namhaften Akteuren und Experten der Biokunststoff-Branche.
Pressemitteilung als pdf-Datei
Kontakt
nova-Institut GmbH
Chemiepark Knapsack
Industriestraße
50354 Hürth
E-Mail: contact@nova-institut.de
(Vgl. Meldungen vom 2007-12-07, 2007-11-30 und 2008-02-12.)
Source
nova-Institut GmbH und "Reifenhäuser GmbH & Co. KG", Pressemitteilung, 2008-03-04.
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