Neue Technologien: Prinzip der Muschelschalen schlägt Amalgam

Zitat aus dem Sachbuch "Trendbarometer Technik — Visionäre Produkte•Neue Werkstoffe•Fabriken der Zukunft"

Fieberhaft suchen Forscher nach einem guten Material für Zahnfüllungen. Muscheln machen schon mal vor, wie es geht: Sie mischen anorganische und organische Werkstoffe.

Löchrige Kauwerkzeuge sollte der Zahnarzt möglichst früh reparieren, um den Kariesfraß zu beenden. Doch sind solche Restaurierungsarbeiten nicht nur bei Zahnfäule nötig. Die Dentalmedizin setzt verschiedenste Werkstoffe ein, um Kavitäten genannte Schäden auszubessern. Zu der Gruppe der Metalle zählen Stopfgold, Goldguss-Legierungen und Silberamalgam.

Die großen Vorteile des traditionellen Silberamalgams sind: niedriger Preis, gute plastische Formbarkeit so lange sie der Zahnarzt verarbeitet, gute mechanische Eigenschaften nach dem Abbinden und seine der Karies vorbeugende Wirkung. Abgesehen von der diskutierten toxischen Wirkung des Quecksilbers und der wie bei Gold störenden metallischen Farbe also ein exzellenter Füllstoff. Doch gerade wegen dieser Nachteile wünschen sich Patienten wie Zahnärzte ein zahnfarbenes und unbedenklicheres Material mit gleich guten Eigenschaften.

Bei den nichtmetallischen Werkstoffen dominieren fräsbare Keramiken und Komposite — Verbundwerkstoffe aus speziellen Kunststoffen und Keramiken. Komposite lassen sich farblich und hinsichtlich ihrer Verschleißeigenschaften sehr gut den Zähnen anpassen. Doch sind sie deutlich teurer als Amalgam – in Zeiten der Gesundheitsreform ein nicht zu unterschätzender Faktor. Die Abriebfestigkeit der Komposite und damit ihre Haltbarkeit ist geringer als die des Silberamalgams. Weitere Nachteile beschäftigen den Zahnarzt, denn der Aufwand bei der Verarbeitung ist größer.

Ersatz für Amalgam

Wie also sieht ein Füllmaterial aus, dem all diese Nachteile “weggezüchtet” wurden und das die Vorteile der Komposite bietet?

Es muss im Mund des Patienten selbst aushärten. Im harten Zustand muss es den mechanischen Beanspruchungen gut und lange widerstehen. Speichel und Lebensmittel dürfen es weder angreifen noch verfärben.

Bereits aus diesen Gründen konnten spezialisierte Werkstoffwissenschaftler eine Rezeptur vorschlagen: 60–80 Prozent inerte keramische Füllkörper und 10–20 Prozent anorganischer Binder. Dazu gesellt sich ein organischer, der für die richtige Konsistenz der Masse während der Verarbeitung durch den Zahnarzt sorgt und der den Abbindeprozess zeitlich steuert.

Technologie

Durch den Zusatz richtig gewählter organischer Substanzen kann das Kristallisationsverhalten der anorganischen Binderkomponenten beeinflusst werden. Ähnlich wie beim Wachstum von Zähnen und Knochen steuert dies die angestrebten physikalischen Eigenschaften des festen Verbundwerkstoffs.

Ein gemischt anorganisch/organischer Zahnfüllstoff ist rein anorganischen, wie Keramiken, deutlich überlegen.

Ein Vergleich aus der Natur macht dies deutlich: Muschelschalen bestehen aus vielen Schichten anorganischer und organischer Stoffe. In ihren Werkstoffeigenschaften sind sie Schalen aus reinem Calciumcarbonat überlegen.

Relevanz

Der Innovationsgrad dieser Entwicklung ist sehr hoch. Derzeit sind uns keine Hinweise bekannt, dass andere Arbeitsgruppen ähnliche Projekte bearbeiten. Deren Anstrengungen konzentrieren sich darauf, kunststoffbasierte Komposite und fräsbare Keramiken weiterzuentwickeln.

Trendbarometer Prognose

Das Projekt erscheint im Verbund mit Technologien außerhalb des Dentalbereichs realisierbar. Da es sich bei diesem Material um eine kostengünstige Versorgung handeln wird, macht es für Patienten wie Zahnmediziner attraktiv.

CoverIn dem Sachbuch “Trendbarometer Technik — Visionäre Produkte•Neue Werkstoffe•Fabriken der Zukunft” (Hrsg. v. Hans-Jörg Bullinger) beschreiben Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft auf über 276 Seiten mehr als hundert neue Technologien, von denen einige schon in den nächsten Jahren zu unserem Alltag gehören könnten.

Der reich bebilderte Band erschien kürzlich im Hanser Fachbuchverlag (Download Hanser-Buchvorstellung) unter der ISBN 3-4462-2570-6 und ist für 24,90 EUR zu erwerben.

Source

Süddeutsche Zeitung vom 2004-03-08.

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