Mikroalgen als Energielieferanten?

Dossier zur realistischen Darstellung von Möglichkeiten und Herausforderungen

Angesichts knapper werdender Ölreserven und des bereits erkennbaren Klimawandels rücken Mikroalgen als Energielieferanten zunehmend in den Blickpunkt des Interesses. Der Hauptvorteil von Mikroalgen: Prinzipiell lassen sich mit ihrer Hilfe CO2-neutrale Kraftstoffe herstellen, ohne gleichzeitig die Nahrungsmittelerzeugung zu beeinträchtigen. Jedoch ist es trotz intensiver Bemühungen weltweit noch nicht gelungen, die wirtschaftliche Produktion eines Biokraftstoffs aus Mikroalgen zu etablieren. In diesem Dossier sollen nun realistisch die Möglichkeiten und die Herausforderungen bei der energetischen Nutzung von Mikroalgen dargestellt und diskutiert werden.

Im Prinzip sind Mikroalgen zu einer wirklich nachhaltigen Erzeugung von Energieträgern hervorragend geeignet: Sie sind – wie höhere Landpflanzen – Photosynthese betreibende Organismen, die zum Wachstum CO2 binden und in komplexe Biomasse umwandeln. Sie benötigen jedoch kein Ackerland, sondern können in geschlossenen Reaktoren auf ariden Flächen kultiviert werden, die ansonsten landwirtschaftlich nicht genutzt werden können. Dadurch steht – im Gegensatz zu den heute genutzten Biokraftstoffen der ersten Generation wie Biodiesel aus Rapsöl oder Bioethanol aus Mais – die Biokraftstoffproduktion aus Mikroalgen nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelerzeugung. Außerdem wird zur Kultivierung in geschlossenen Reaktoren nur sehr wenig Wasser benötigt, für marine Arten kann sogar Meerwasser und als Quelle für anorganische Nährstoffe wie Stickstoff oder Phosphor Abwasser verwendet werden. Zudem nutzen Mikroalgen das Sonnenlicht besonders effizient, da in einer Kultur alle Zellen Photosynthese betreiben und nicht wie bei höheren Pflanzen nur die grünen Blattzellen. Hieraus resultieren gegenüber Landpflanzen deutlich höhere Flächenerträge.

Energieträger aus Mikroalgen
Mit Hilfe von Mikroalgen können verschiedene Energieträger hergestellt werden – die wichtigsten sind Biogas, Biodiesel, Bioethanol und Wasserstoff. Technisch am einfachsten ist die Erzeugung von Biogas, hierfür sind weder aufwändige Vorbereitungs- noch Aufarbeitungsschritte notwendig. Die konzentrierte und noch nasse Algenbiomasse, welche homogen und im Gegensatz zu pflanzlicher Biomasse fast frei von der nur schwer umsetzbaren Lignocellulose ist, lässt sich in einer Biogasanlage direkt vergären. Dabei können sowohl die Mikroalgenkultivierung als auch die Biogaserzeugung dezentral erfolgen. Das Biogas, das hauptsächlich aus Methan (der Energieträger) und CO2 besteht, kann in einem angeschlossenen Blockheizkraftwerk zur Erzeugung von Wärme und Strom verwendet oder aufbereitet und als Biomethan in das Erdgasnetz eingespeist werden. Anfang 2010 startete in Baden-Württemberg das Forschungsvorhaben ETAMAX. In diesem Vorhaben möchte ein großer Verbund aus Forschung, Energiewirtschaft und Industrie unter anderem Algenbiomasse vollständig zu Biogas umsetzen und – aufgereinigt als Fahrzeugkraftstoff – eine ganze Flotte von Erdgasfahrzeugen antreiben. Die Anlagen hierzu befinden sich gegenwärtig jedoch noch im Pilotmaßstab.

Öl – Biodiesel
In den USA steht dagegen die Produktion von Biodiesel im Vordergrund. Abhängig von der Spezies und den Kultivierungsbedingungen können Mikroalgen bis zu 50 Prozent Öl enthalten, welches extrahiert und durch Umesterung zu Biodiesel weiterverarbeitet werden kann. Hieran zeigen Unternehmen der Energie- und Ölbranche großes Interesse. Beispielsweise investiert der amerikanische Öl-Konzern ExxonMobil gemeinsam mit dem Biotechnologieunternehmen Synthetic Genomics über 600 Millionen US$ in ein Projekt zur Erzeugung von Algenbiodiesel. Allerdings gibt es unterschiedliche – sowohl sehr optimistische als auch sehr skeptische – Einschätzungen über die tatsächlichen Möglichkeiten dieser Technologie. Im Februar 2010 haben nun internationale Experten aus unterschiedlichen Disziplinen – unter ihnen Professor Posten vom Karlsruher Institut für Technologie – in der renommierten Fachzeitschrift Nature Biotechnology eine Evaluation des Potenzials von Mikroalgenkraftstoffen verfasst, welche sehr systematisch sowohl die ökonomischen als auch die technischen Aspekte berücksichtigt.

Ökonomische und technische Evaluation des Algenbiodiesels
Demnach liegt die maximal erreichbare Ausbeute zwischen ca. 100.000 und 150.000 Litern Öl pro Hektar und Jahr. Bei dieser Kalkulation wurde eine maximale Photokonversionseffizienz von zehn Prozent zugrunde gelegt, was bedeutet, dass die Zellen im besten Fall zehn Prozent des Sonnenlichts in Bioenergie umwandeln. Dies bedeutet, dass theoretisch der weltweite Kraftstoffbedarf mit Hilfe von Mikroalgen gedeckt werden könnte und es hier zumindest keine prinzipiellen Limitierungen – etwa hinsichtlich des Flächenbedarfs – gibt. Um nun die ökonomischen Schlüsselfaktoren zu beschreiben, wurden verschiedene Szenarien entwickelt. Ein Basisszenario beruht auf schon heute großtechnisch eingesetzter Technologie und beinhaltet folgende Annahmen: eine genügend große Produktionseinheit von 500 Hektar, neben der Ölextraktion die Extraktion eines hochpreisigen Produkts (z.B. Beta-Carotin), die ökonomische Verwertung auch der Restbiomasse (etwa als Fischmehlersatz).

Im Gegensatz dazu wird in einem zweiten Szenario lediglich der Ölfraktion ein Wert beigemessen und hier von Technologien ausgegangen, die zwar heute noch nicht großtechnisch angewendet werden, deren Entwicklung für die nächsten Jahre aber erwartet wird. Eine wichtige Erkenntnis der Autoren ist nun, dass bei genügend geringen Konstruktionskosten für die Reaktoren (bis 150.000 US$ pro Hektar) und genügend hoher Biomasseproduktivität (mindestens 50g Algen pro Quadratmeter und Tag) beide Modelle ohne Subventionen rentabel sein können. Es ist nicht unrealistisch anzunehmen, dass diese Daten in den nächsten Jahren erreicht werden. Wie lange es allerdings wirklich dauert, bis die erste wirtschaftliche Anlage arbeitet, können die Autoren nicht mit Sicherheit sagen. Hier haben auch externe Faktoren wie verschärfte Kohlendioxid-Emissionsziele und entsprechende bewertete Zertifikate sowie vor allem die Entwicklung des Ölpreises großen Einfluss.

Bio-Wasserstoff aus Mikroalgen
Eine weitere interessante Möglichkeit bietet die Erzeugung des umweltverträglichen Energieträgers Wasserstoff durch die Grünalge Chlamydomonas reinhardtii. Unter bestimmten Bedingungen – ausreichende Lichtversorgung bei gleichzeitigem Nährstoffmangel, welcher das Wachstum hemmt – bildet die Alge als ein Notfallventil Wasserstoff, um überschüssige Energie aus der Photosynthese abzuleiten. Dabei ist von Vorteil, dass die Abtrennung des Gases deutlich einfacher ist als etwa die Extraktion von Öl. Allerdings existieren hierbei prinzipielle Schwierigkeiten: Zum einen werden nur sehr geringe Mengen Wasserstoff gebildet, zum anderen stoppt die Synthese bei Kontakt mit Sauerstoff, weil das beteiligte Schlüsselenzym – eine Hydrogenase – sauerstoffempfindlich ist. So gelingt die Wasserstoffproduktion bisher nur unter strengen Laborbedingungen. Es gibt breit angelegte Forschungs- und Entwicklungsprojekte, welche alle Stufen – von der Molekularbiologie bis zum Produktionsreaktor – einschließen. Bis zu einer großtechnischen Anwendung ist hier aber noch ein sehr langer Weg zu gehen.

Ein weiterer möglicher Energieträger, welcher von Mikroalgen produziert werden kann, ist Stärke, die wiederum zu Ethanol umgewandelt werden kann. Aber auch hier befindet man sich noch in einem frühen Entwicklungsstadium.

F&E-Aufgabenfelder
Die zentrale Herausforderung besteht nun darin, mit einer im Vergleich zu heute deutlich günstigeren Reaktortechnik eine deutlich höhere Biomasseproduktivität zu erreichen. Für die energetische Nutzung der Mikroalgen ist darüber hinaus Voraussetzung, dass die für die Kultivierung nötigen Energiekosten – etwa für die Vermischung – deutlich verringert werden. Nur so ist die Nettoenergieproduktion möglich. Diese wichtigen Fragestellungen aus der Verfahrenstechnik werden gegenwärtig intensiv am KIT in der Arbeitsgruppe von Professor Posten bearbeitet.

Neben der Verfahrenstechnik müssen jedoch auch auf den Gebieten der Biologie bzw. der Molekularbiologie Fortschritte erzielt werden: Großes Optimierungspotenzial besteht von der Auswahl geeigneter Arten aus den insgesamt etwa 40.000 bekannten Algenarten über die Stammhaltung, physiologische Charakterisierungen bis zu der Entwicklung effizienter Selektions- und Expressionssysteme. Das dritte wichtige Arbeitsfeld ist der Downstream-Prozess – also die zuverlässige und kostengünstige Aufarbeitung des Produkts.

Schlussfolgerung
Die spezifische Erzeugung von Energieträgern mit Hilfe von Mikroalgen ist möglich. Allerdings sind für den Betrieb wirtschaftlicher Anlagen noch Optimierungen notwendig. Die wichtigen Ansatzpunkte hierfür liegen sowohl in der Verfahrenstechnik als auch in der Biologie der Algen. In der nahen Zukunft steht jedoch eher eine Doppelnutzung der Alge im Vordergrund – mit Erzeugung eines Hochpreisproduktes und der energetischen Nutzung der Restalgenbiomasse. Hierbei, so Professor Posten vom KIT, soll die Erzeugung von Hochpreisprodukten jedoch keineswegs nur als eine Art Subvention auf dem Weg zur energetischen Nutzung der Alge, sondern vielmehr als wichtiger Selbstzweck angesehen werden. Gerade in der Möglichkeit der Synthese vieler unterschiedlicher Produkte mit hohem Wertschöpfungspotenzial für die Bereiche Nahrungsergänzungsmittel, Kosmetik, Arzneimittel und Feinchemikalien liegt eine große Stärke der Mikroalgen.

Source

BIOPRO Baden-Württemberg, 2011-04-04

Supplier

Exxon
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Synthetic Genomics, Inc. (SGI)

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