Kongressbericht: Deutscher Bioraffinerie-Kongress

Trends in der Biomassenutzung am Chemiestandort Deutschland

Nichts geringeres als “das neue Zeitalter der Chemie” sollte eingeläutet werden. Der “Deutschen Bioraffinerie-Kongress” am 12. und 13. September 2007 im Bundespresseamt in Berlin beschäftigte sich mit der Frage, wie Erdöl als Rohstoff der chemischen Industrie durch einen wachsenden Anteil Biomasse ersetzt werden könnte. Der Einladung des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU), Sigmar Gabriel, waren knapp 100 Experten gefolgt, denen ein repräsentativer Überblick über den Stand der Entwicklung geboten wurden.

Europa hinkt erkennbar der Entwicklung in anderen Regionen, vor allem in den USA, Canada und Brasilien, hinterher. Vor dem jetzt anlaufenden 7. Forschungsrahmenplan hat es Stichwort “Bioraffinerie” für die EU überhaupt nicht gegeben und so konnten bislang auch keine größeren Förderanträge gestellt werden. Seit der letzten größeren Veranstaltung vor etwa zwei Jahren in Potsdam ist daher wenig geschehen. Das “Institut für Agrartechnik Bornim (ATB) kann nun eine Pilotanlage für die Produktion von Milchsäure aus heimischem Getreide aufbauen – Ein kleiner Baustein, aber nicht mehr, einer Bioraffinerie. Ein seinerzeit angekündigtes Projekt in Island, wo Abfallgras in 7 Millionen Liter Alkohol verwandelt werden sollte, gibt es bisher nur auf dem Papier.

Chemieverbände zeigen großes Interesse
In seinem Grußwort beschwor Staatsekretär Müller die Notwendigkeit, den Anschluss nicht zu verpassen um “Deutschland als Chemiestandort” zu erhalten und um Arbeitsplätze zu sichern. Zur Zeit sind die multinational aufgestellten Chemiekonzerne dabei, ihre Interessen im Bereich “Bioraffinerie” zu definieren. Alle namhaften und einflussreichen Verbände, wie der Verband der Chemischen Industrie (VCI), die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) oder die DECHEMA waren im Programmkomitee vertreten und stellten Referenten. Wiley-VCH, der Hausverlag der chemischen Industrie, kündigte eine neue Zeitschrift an, die ein Bindeglied zwischen der “sustainable Chemistry” und “biorefinery” bilden soll und im ersten Jahr kostenlos verbreitet wird.

Die Bioraffinerie, so wurde immer wieder betont, könne nur erfolgreich sein, wenn sie auf die Erfahrungen und das Know-how der Großchemie und der petrochemischen Industrie aufbaue. Auf der stofflichen Ebene heißt das, dass Biomasse in kompatible Massenchemikalien umgewandelt wird, die bei Bedarf erdölbasierte Grundstoffe ersetzen. Eine solche “Plattformchemikalie” kann zum Beispiel Ethanol sein, das im Moment eher als Treibstoff nachgefragt wird.

Bioraffinerie am Chemiestandort als deutscher Sonderweg?
Auf der organisatorischen und finanziellen Ebene bedeutet das, dass eine Bioraffinerie eine millionenschwere Investition darstellt, die nur unter aktiver Beteiligung von Großunternehmen der Branche realisiert werden kann und damit letztendlich aus leicht nachvollziehbaren Gründen (Nutzung der Infrastruktur) an einem klassischen Chemistandort entstehen wird. Möglicherweise ein deutscher Sonderweg, erzwungen von den tonangebenden Chemiekonzernen, die sich die Sache nicht aus der Hand nehmen lassen wollen. In den USA oder in Brasilien ist es sehr wohl üblich, dass Bioraffinerien als mittelständische Unternehmen mitten in den Agrargebieten arbeiten. Auch von Seiten der Zellstoffindustrie kam verhaltener Protest, ist doch ein Zellstoffwerk der Prototyp einer Bioraffinerie und war vor der Ära des billigen Öls der Lieferant diverser Chemikalien. Dort wurde der Schritt zur integrierten stofflichen und energetischen Nutzung von Biomasse bis hin zur abproduktfreien Produktion längst vollzogen.

Wie sich die Schwerpunkte verschoben haben, wird beispielhaft an der als “Mutter der deutschen Bioraffinerie” apostrophierten Birgit Kamm deutlich. Vor 10 Jahren ist sie mit dem übersichtlichen und in der Landwirtschaft verankerten Projekt einer “Grünen Bioraffinerie” zur Nutzung von Gras aus dem Havelland gestartet. Inzwischen sieht sie als Professorin an der BTU Cottbus, der brandenburgischen “Hausuniversität” des Energieriesen Vattenfall, Perspektiven in einer Verzahnung mit der Braunkohlewirtschaft, etwa durch Vergasung von Biomasse oder der Nutzung des Kohlendioxids, das aus Kraftwerken abgeschieden werden soll.

Die Vertreter der Landwirtschaft konnten sich damit gut anfreunden. Helmut Born vom Deutschen Bauernverband (DBV) oder Jörg Schweinle von der Bundesforschungsanstalt für Forst- und Holzwirtschaft (BFH) sind dazu bereit, der Chemischen Industrie ihren jeweiligen Rohstoff in großen Mengen anzudienen und freuen sich auf einen weiteren, preistreibenden Konkurrenten neben den Biokraftstoffen und der Bioenergie.

Dipl.-Chem. Roland Schnell, der Autor dieses Kommentars, ist unter anderem als Vorsitzender der Fördergesellschaft für nachhaltige Biogas- und Bioenergienutzung e.V. aktiv sowie fachjournalistisch tätig.

Weiterführende Informationen
Die folgenden Websites befinden sich teilweise noch im Aufbau oder sind seit längerem nicht mehr aktualisiert worden. Sie bieten aber teilweise weiterführende Links oder Literatur in Form vom PDF-Downloads:

Nach wie vor aktuell ist das 2005 erschienene Standardwerk zum Thema Bioraffinerie:
Kamm, Birgit; Gruber, Patrick R.; Kamm, Michael (Hrsg.): Biorefineries – Industrial Processes and Products. Status Quo and Future Directions. 1. Auflage, Dezember 2005, Wiley-VCH, Weinheim, 934 Seiten, 2 Bände, Hardcover. ISBN-10: 3-527-31027-4, ISBN-13: 978-3-527-31027-2, 299,- Euro.

Kontakt
Roland Schnell
Tel.: 030-468-16663
Fax: 030-468-16675
E-Mail: roland@graskraft.de

(Vgl. Meldungen vom 2007-08-17, 2007-07-06 und 2006-03-31.)

Source

Roland Schnell, 2007-10-02.

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