Keine Schnapsidee: Alkohol als Treibstoff

Die Stadtwerke Leipzig (SWL) forcieren ihr Engagement für erneuerbare Energien: Noch in diesem Monat startet der Bau einer neuartigen Biogas-Anlage, die mit minderwertigem Getreide und Treber gespeist wird. Sie soll unter anderem konkurrenzlos günstig Bioethanol erzeugen, das auch als Treibstoff für speziell umgerüstete Kraftfahrzeuge verwendet werden kann. Wenn die Anlage wie geplant funktioniert, entstehen ein Dutzend weitere – auch in und um die Messestadt.

Die Geschichte des ungewöhnlichen Projekts begann vor zwei Jahren. Damals klopfte der Zwickauer Tüftler Jochen Auerbach bei den Stadtwerken an und schlug den Bau einer gemeinsamen Anlage vor, die auf einer neuartigen Kombination von Brennerei, Biogas-Anlage und Blockheizkraftwerk basiert. Auerbach hatte zuvor sieben Jahre lang mit einem eigenen Bio-Reaktor experimentiert und dabei eine Bakterien-Mischung gefunden, die hoch effizient Biogas und Dünger erzeugt.

In der Kombination mit einer Brennerei können die Kostenvorteile auch für die Erzeugung des reinen Alkohols Bioethanol genutzt werden. Ein Stoff, der sich nicht nur für die Schnaps-Herstellung eignet, sondern auch als zukunftsträchtiger Antriebsstoff für Autos gilt. In Brasilien, das dieses Produkt in großen Mengen aus Zuckerrohr herstellt, werden bereits tausende Autos ausschließlich mit diesem reinen Alkohol angetrieben – teilweise in Fahrzeugen, die deutsche Hersteller wie Volkswagen liefern und dafür speziell umrüsten.

In Europa hat die EU-Kommission die Mineralölkonzerne zu ähnlichen Aktivitäten aufgefordert, um die Abhängigkeit vom teuren Erdöl zu verringern. Die Multis müssen deshalb ihrem Benzin zwei Prozent Bioethanol beimischen; bis zum Jahr 2010 sollen es mindestens 5,75 Prozent sein. “Dieser Anteil wird weiter steigen”, glaubt Klaus-Joachim Pfeuffer von den SWL. “Bislang können die europäischen Großbrennereien Bioethanol nur zu Preisen von über 40 Cent je Liter erzeugen. Wir peilen mit dem neuen Verfahren einen Preis unter 30 Cent an.”

Inzwischen haben die Stadtwerke mit dem Tüftler aus Zwickau die Firma Wabio Bioenergietechnik gegründet und wollen deren patentierte Technologie verwerten. 51 Prozent der Geschäftsanteile halten die Leipziger, je 24,5 Prozent der Tüftler und ein Rechtsanwalt aus München. Auf einem Gewerbegebiet in Bad Köstritz soll am 21. November der Bau der Pilotanlage beginnen. Im April wird der erste Teilabschnitt in Betrieb gehen, zwei Monate später der gesamte Komplex.

Spätestens dann fällt auch die Entscheidung über den Bau weiterer Anlagen. Als Standorte sind Flächen in und um Leipzig in Vorbereitung – so in Schkeuditz, Glesien, Krostitz, Podelwitz, Thierbach, Espenhain und Rackwitz. “Wenn das Verfahren funktioniert, bauen wir mehrere Anlagen gleichzeitig”, so Pfeuffer.

Die Anlage in Bad Köstritz wird rund 10 Millionen Euro kosten und komplett von den Stadtwerken finanziert. Sie soll jährlich mindestens 8,4 Millionen Liter Bioethanol erzeugen, die bereits komplett verkauft sind. “Wir haben uns für einen Abnehmer entschieden, der daraus Trink- und Industriealkohol herstellt”, sagt SWL-Geschäftsführer Wolfgang Wille. Der Käufer habe sich auch schon die Mengen der nächsten fünf Anlagen gesichert, über deren Bau noch gar nicht entschieden ist. Einzige Bedingung: Die Lieferung der Leipziger müsse vier Prozent billiger sein als die Importpreise. “Das ist mit der neuen Technik kein Problem”, glaubt Pfeuffer.

Intern gilt die Investition bei den Stadtwerken bereits jetzt als “ausgesprochen ertragreich”. Denn auch die “Nebenprodukte” Strom (22 GWh pro Jahr) und Wärme (10 GWh pro Jahr) spülen gutes Geld in die Kasse. 18F100 Tonnen eines ebenfalls anfallenden Stickstoff-Phosphor-Kalium-Substrats können in der Landwirtschaft als hochwertiger Dünger verkauft werden. Die Anlage in Bad Köstritz werde deshalb höchstwahrscheinlich eine “zweistellige Gesamtkapitalrendite” abwerfen, heißt es hinter vorgehaltener Hand.

Einziger Nachteil: In die Tanks von Fahrzeugen fließt vorerst nur sehr spärlich Bioethanol – nämlich lediglich in die Fahrzeugflotte, die für die jeweils 20-köpfigen Anlage-Teams angeschafft wird. “Weil wir nicht wissen, wie schnell sich das Tankstellennetz für unser Produkt in Europa entwickelt, wollen wir kein Risiko eingehen”, sagt Pfeuffer. “Aber im Jahr 2010 wird die Entwicklung deutlich weiter sein.”

(Vgl. Meldung vom 2004-06-16.)

Source

Leipziger Volkszeitung vom 2005-11-04.

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