Grüne Gentechnik: Arbeitspapier für nationales Anbauverbot

Die Zulassung von gentechnisch veränderten Pflanzen wie Mais sorgt auf europäischer Ebene immer wieder für Streit

Nach jahrelangem Hin und Her beim Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen (gv-Pflanzen) war im Sommer 2010 Bewegung in die Sache gekommen. Damals kündigte EU-Gesundheitskommissar John Dalli den Ländern mehr Autonomie und Mitsprache an. Nun hat er ein Arbeitspapier veröffentlicht, das mögliche, nicht-wissenschaftliche Gründe für ein nationales Anbauverbot auflistet. Bei den EU-Mitgliedsländern stößt die Vorlage mehrheitlich auf Ablehnung. Nach Ansicht von Experten würden die vorgelegten Gründe den Regeln eines freien EU-Binnenmarktes und der Welthandelsorganisation (WTO) widersprechen.

Hintergrund des Arbeitspapiers ist ein Vorschlag des maltesischen EU-Gesundheitskommissars John Dalli vom 12. Juli 2010: Die EU-Mitgliedsstaaten sollen ein größeres Mitspracherecht bei der Entscheidung über den Anbau genetisch veränderter Pflanzen (gv-Pflanzen) erhalten. Bisher entschied die EU-Kommission aufgrund der wissenschaftlichen Bewertung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), die EU-Zulassung war für die Mitgliedsstaaten bindend. Dieses Prozedere hat jedoch oftmals zu Pattsituationen geführt, da die EFSA einen Anbau empfohlen hatte, die Mitgliedsstaaten sich jedoch nicht zu einem gemeinsamen Ja durchringen konnten.

Deshalb gibt es bislang auch nur eine Zulassung für den MON810 von Monsanto sowie die für die Industrie gedachte stärkehaltige Kartoffel Amflora, die von BASF entwickelt wurde. Bislang geltende Anbauverbote für diese Pflanzensorten basieren vor allem auf dem Argument, dass es neue Erkenntnisse zur Sicherheitsbewertung gibt. Nicht nur Deutschland hatte diese Schutzklausel für ein Anbauverbot der gv-Maissorte MON810 genutzt (mehr…), auch in Österreich, Griechenland, Frankreich, Ungarn und Luxemburg existieren Anbaumoratorien. Die Europäische Kommission war mehrmals im Ministerrat gescheitert, als es diese nationalen Verbote beenden wollte (mehr…).

Neues Prozedere als Ausweg aus Pattsituation
Aufrund dieser festgefahrenen Situation schlug Dalli vergangenen Sommer ein neues Prozedere vor: die EU-Mitgliedsländer sollten trotz EU-Zulassung ein beschränktes oder umfassendes Anbauverbot auf ihrem Hoheitsgebiet aussprechen dürfen. Import und Vermarktung bereits zugelassener gv-Sorten sollten davon ausgenommen sein. “Die EU ist weder für noch gegen den Anbau von genetisch veränderten Organismen (GVO) sagte Dalli damals. “Aber in der heutigen Welt sind sie Realität.”

Der Vorschlag des Gesundheitskommissars umfasst eine Ergänzung (26b) zur EU-Freisetzungsrichtlinie 2001/18 (zur Richtlinie: hier klicken). Das Prozedere wäre dann zunächst wie gehabt: Die EFSA würde auf wissenschaftlicher Basis die Gesundheits- und Sicherheitsrisiken prüfen und eine Empfehlung aussprechen, auf deren Basis die EU-Kommission entscheidet. Neu wäre, dass die Mitgliedsstaaten anschließend die Möglichkeit hätten, den Anbau der gv-Pflanzen trotz EU-Erlaubnis zu verbieten – allerdings ohne sich auf wissenschaftliche Kriterien der Sicherheitsbewertung berufen zu können. Nun hat die EU-Kommission eine Liste möglicher, derartiger nicht-wissenschaftlicher Gründe vorgelegt. Als Gründe sollen demnach anerkannt werden:

  • öffentliche Moral (u.a.religiöse, philosophische und ethische Bedenken)
  • Raumplanungsentscheidungen
  • Naturschutzargumente (Erhaltung der Diversität der landwirtschaftlichn Produktion)
  • kulturpolitische Ziele (z.B. die Bewahrung traditioneller Bewirtschaftungsmethoden)
  • die Sicherung der Entscheidungsfreiheit für den Verbraucher, gvo-freie Produkte zu kaufen
  • sozialpolitische Ziele (Entwicklung Beschäftigungspotenzial im ländlichen Raum)
  • die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung.

Allerdings will die EU-Kommission diese ausdrücklich unvollständige Liste nicht zu einem formellen Bestandteil der Rechtsvorschläge machen. Genau das bräuchten die Mitgliedsstaaten jedoch, um für ihre Entscheidung Rechtssicherheit zu haben und gegenüber klagenden Unternehmen bestehen zu können.

Bereits im Sommer 2010 hatte es deshalb Skepsis gegenüber den Plänen des Gesundheitskommissars gegeben. Keine Seite war so recht zufrieden: Umweltverbände befürchteten eine zu leichte Ausbreitung von gv-Saatgut, die Industrie das Ende des freien europäischen Binnenmarktes und die Politik ein gesetzliches Chaos und Klagen vor dem europäischen Gerichtshof. Die nun vorgelegten Gründe im Arbeitspapier scheinen die Unsicherheiten nicht zu beseitigen, da alle möglichen Argumente – von regionalen Bewirtschaftungsformen bis hin zu sozialen und religiösen Bedenken – benutzt werden können. Darüber hinaus befürchten einige Mitgliedsländer, dass die Klausel zur öffentlichen Ordnung Proteste von Gentechnikgegnern geradezu provozieren würde. Schwerer wiegt aus Sicht von Experten aber die juristische Schwäche der aufgeführten Argumente.

“Wir bieten den Staaten nun Freiräume, ihre eigenen Entscheidungen zu fällen”, sagte der EU-Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz, John Dalli.Lightbox-Link”Wir bieten den Staaten nun Freiräume, ihre eigenen Entscheidungen zu fällen”, sagte der EU-Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz, John Dalli.Quelle: EU-Kommission

Juristischer Streit: Sind Gründe mit WTO vereinbar?
Die Gründe seien mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) und den europäischen Verträgen wenig kompatibel, heißt es. Zu diesem Ergebnis kam im November 2010 auch ein Gutachten des juristischen Dienstes des EU-Rates. Demnach wurde die Freiheit des Europäischen Binnenmarktes in vergangenen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes (EUGh) stets höher bewertet als nationale Verbotsversuche. Auf diese Kritik geht das Papier jedoch nicht ein. Zuvor hatte Dalli lediglich auf den juristischen Dienst der EU-Kommission verwiesen, der wiederum keine Probleme hinsichtlich der WTO sieht. Nun ist es an den EU-Umweltministern, weiter über das Arbeitspapier zu beraten und selbst Vorschläge für juristisch gültige Anbauverbote vorzulegen. Experten halten es aber für wahrscheinlich, dass die von Dalli gewünschte Neuregelung nicht umgesetzt wird.

Dann bliebe für Länder, die den gv-Anbau auf nationaler Ebene verhindern wollen, lediglich die Möglichkeit, über strengere Koexistenzbestimmungen zu Anbaueinschränkungen zu kommen. Hier hatte Dalli ebenfalls im Juni 2010 neue Leitlinien in Kraft gesetzt, die den EU-Mitgliedsstaaten mehr Freiheiten bei der Regelung des gv-Anbaus lässt. Die Ausweisung von gentechnikfreien Zonen ist seitdem ebenso möglich wie sehr strenge oder gar keine Vorschriften. Außerdem können nun auch Verunreinigungen als wirtschaftlicher Schaden gelten, die unterhalb der Kennzeichnungs-Grenze von 0,9 Prozent liegen. Allerdings weist auch dieser Weg juristisch gesehen Tücken auf. Die Zukunft des gv-Anbaus in Europa bleibt deshalb vermutlich so schwierig wie eh und je.

Weitere Informationen / Hintergrund:

– zur bestehenden Richtlinie 2001/18/EC: hier klicken

– zum Dossier der EU-Kommission mit Fragen und Antworten: hier klicken

Sie wollen mehr über gentechnisch veränderte Pflanzen erfahren? Dann informieren Sie sich auf www.biosicherheit.de

Source

Biotechnologie.de, 2011-02-22.

Supplier

BASF Plant Science
European Commission
European Food Safety Authority (EFSA)

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