EU: Parlamentsausschuss will Biokraftstoffziel auf vier Prozent reduzieren

Kompromiss berücksichtigt Strom und Wasserstoff aus erneuerbaren Energien im Verkehrssektor.

Der Umweltausschuss des Europäischen Parlaments hat gestern (7. Juli 2008) dafür gestimmt, das vorgeschlagene EU-weite 10%-Ziel für Biokraftstoffe bis 2020 auf 4% bis 2015 herabzusetzen. Die Kommission betonte jedoch umgehend, dass dies nicht die offizielle Meinung des Europaparlaments sei.

Mit der Abstimmung wurde ein partei- und länderübergreifender Kompromiss bestätigt. Darin wird ein Ziel von “mindestens vier Prozent” an erneuerbaren Energiequellen aller Kraftstoffe für den Straßenverkehr bis 2015 vorgeschlagen. Mindestens 20% davon sollten durch den Einsatz von Elektrizität oder Wasserstoff aus erneuerbaren Energiequellen, Biogas oder Verkehrskraftstoffen aus lignozellulosehaltiger Biomasse oder Algen gedeckt werden.

Entscheidende Wendung in der Politik
Ein solches Ziel wäre tatsächlich noch niedriger als das 5,75%-Ziel bis 2010, dass in der ursprünglichen EU-Richtlinie aus dem Jahr 2003 zur Förderung von Biokraftstoffen festgelegt worden war. Es stellt einen deutlichen Versuch der Union dar, sich von der Verpflichtung zu distanzieren, die Produktion von Biokraftstoffen zu erhöhen. Der Schritt, andere Quellen als Biokraftstoffe in die Ziele einzubeziehen, symbolisiert diese Wendung und bestätigt Äußerungen der europäischen Energie- und Umweltminister, die das aktuelle Biokraftstoffziel von 10% durch eine Vielfalt erneuerbarer Energien erreichen wolen. Das sagte der amtierende Ratsvorsitzende, der französische Umweltminister Jean-Louis Borloo, zum Abschluss von Beratungen der europäische Umweltminister über das Klimaschutzpaket der EU in der vergangenen Woche. Dafür müssten nach seinen Angaben Elektro- oder Wasserstoffautos bis 2020 wettbewerbsfähig werden.

Kommission gibt nicht nach
Der Kommissionssprecher für Energie, Ferran Tarradellas, sagte Journalisten gegenüber jedoch, man dürfe der Meinung des Umweltausschusses nicht zu viel Bedeutung zumessen, da es nur ein Parlamentsausschuss sei, der seine Ansicht zur Sache äußere. Er betonte, dass fünf weitere Ausschüsse über die Frage abgestimmt und alle das 10%-Ziel unterstützt hätten. Diese fünf sind die Ausschüsse für regionale Entwicklung, Landwirtschaft, Verkehr, Wirtschaft und internationalen Handel – auch wenn letzterer dafür gestimmt hat, das 10%-Ziel bis 2025 aufzuschieben.

Der Bericht des Umweltausschusses scheint jedoch mit 36 Stimmen dafür, keiner dagegen und nur acht Enthaltungen eindeutig unterstützt zu werden. Darüber hinaus betonte das Parlament in einer Pressemitteilung vom 8. Juli 2008, dass der federführende Ausschuss in dieser Angelegenheit – der Ausschuss für Industrie und Energie – im September abstimmen und Änderungen, die vom Umweltausschuss angenommen worden seien, berücksichtigen und, in einigen Fällen, annehmen werde.

Strengere Nachhaltigkeitskriterien
Der Bericht des Umweltausschusses legt auch eine Reihe an Nachhaltigkeitskriterien für Umwelt und Gesellschaft dar – die strenger sind als jene, die von der Kommission vorgebracht wurden.

Da die Mitgliedstaaten Schwierigkeiten haben, sich auf zentrale Kriterien für Biokraftstoffe zu einigen, könnte der von den Europaabgeordneten verabschiedete Text als Grundlage für einen Kompromiss dienen, auch wenn er viel strenger ist als die Standards, die die Kommission und einige Regierungen im Visier haben. Parlamentarier haben sich für einen zweistufigen Ansatz ausgesprochen, in dessen Rahmen Biokraftstoffe, die in ihrem Lebenszyklus im Vergleich zu fossilen Kraftstoffen keine CO2-Einsparungen von 45% erreichen, gleich zu Anfang ausgeschlossen würden, während jene, die eine Ersparnis von weniger als 60% erreichen, ab 2015 ausgeschlossen würden.

Großbritannien rudert zurück
Die britische Regierung kündigte am 7. Juli ebenfalls Pläne an, die Einführung von Biokraftstoffen hinauszuzögern, bis mehr wissenschaftliche Erkenntnisse über deren Auswirkungen auf Landnutzung, Klimawandel und Lebensmittelpreise vorliegen. Die Ankündigung basierte auf einem Bericht, der von Ed Gallagher, dem Vorsitzenden der Renewable Fuels Agency, in Auftrag gegeben worden war.

Der Gallagher-Bericht schließe, dass der Einsatz von Biokraftstoffen hinausgezögert werden sollte, bis eine Politik in Kraft sei, welche die Biokraftstoffproduktion auf Randgebiete oder brachliegende Flächen verschoben würde, sagte die britische Verkehrsministerin Ruth Kelly dem Parlament. Sie fügte hinzu, die Regierung wolle die Biokraftstoffpolitik nicht abschaffen, sondern verändern. Laut britischem Recht müssen derzeit 2,5% der Verkehrskraftstoffe aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen werden; dieses Ziel soll im Jahr 2010/11 auf 5% steigen, doch der Bericht von Gallagher empfiehlt, dass das 5%-Ziel auf 2013/14 aufgeschoben werde.

Positionen

  • Es sollte klar sein, dass dies nicht die offizielle Meinung des Europäischen Parlaments sei, betonte Kommissionssprecher für Energie Ferran Tarradellas am 8. Juli 2008 in einer E-Mail an Journalisten.
  • Der grüne Europaabgeordnete Claude Turmes, der im Parlament die Diskussion über die Richtlinie für erneuerbare Energien anleitet, sagte, die Vorschläge des Umweltausschusses seien besser durchdacht.
  • Biokraftstoffunternehmen sind jedoch verärgert über die offensichtliche Kehrtwendung, die in Europa stattfindet. Sie sind der Meinung, dies führe zu noch mehr Unsicherheit, da langfristige Investitionen für den Sektor dringend nötig seien.
  • Die Bioethanolindustrie betont insbesondere, dass es falsch sei, Biokraftstoffe zum Sündenbock zu machen und die Faktoren zu ignorieren, die eine viel größere Rolle beim Anstieg der Lebensmittelpreise weltweit gespielt hätten. Laut der European Bioethanol Fuel Association (eBIO), der europäischen Vereinigung für Bioethanol, nehme die Biokraftstoffproduktion nur zwei bis drei Prozent der Agrarflächen der EU in Anspruch. Medienberichte, die Biokraftstoffe für die gegenwärtige Lebensmittelkrise verantwortlich machten, seien übertrieben. Stattdessen betonte die Vereinigung den viel stärkeren Einfluss der enorm erhöhten Öl- und Energiepreise auf das tägliche Wirtschaftsleben und die Lebensmittelpreise in den vergangenen zwölf Monaten.
  • Das European Biodiesel Board (EBB) betonte ebenfalls den sehr bedenklichen weiter zunehmenden Dieselmangel in der EU, der kurzfristig gesehen nur durch eine Weiterentwicklung des Biodieselsektors behoben werden könne.
  • Umweltorganisationen andererseits fordern eine vollständige Neuausrichtung der EU-Politik und betonen, dass alle Ziele einfach verworfen werden sollten.
    Adrian Bebb, der Zuständige für Agrarkraftstoffe bei Friends of the Earth Europe nannte die Abstimmung eine begrüßenswerte Entwicklung in die richtige Richtung. Die EU müsse jedoch noch viel weiter gehen, um die negativen Auswirkungen von Biokraftstoffen in den Griff zu bekommen. Alle Biokraftstoffziele sollten verworfen und echte Lösungen, wie eine Verpflichtung der Automobilindustrie, umweltfreundlichere Autos herzustellen, sollten erarbeitet werden, sagte Bebb.
    Almuth Ernsting der britischen NGO Biofuelwatch kommentierte, Regierungsziele, Anreize und Subventionen, die die Agrarkraftstoffproduktion unterstützten, hätten noch immer verheerende Folgen für die Lebensmittelkrise, die biologische Vielfalt und den Klimawandel. Sie wies Behauptungen zurück, dass strikte Nachhaltigkeitskriterien oder eine Hinwendung zu Biokraftstoffen der zweiten Generation die Probleme lösen könnten, die mit der Biokraftstoffproduktion in Verbindung stehen.

Nächste Schritte

  • September 2008: Der Parlamentsausschuss für Industrie und Energie wird über den Vorschlag abstimmen.
  • 23. September 2008: Abstimmung der ersten Lesung im Plenum.

Weitere Informationen
Europaabgeordnete und Kommission streiten über Biokraftstoffziel. Bericht auf euractiv.com vom 2008-0708 mit weiterführenden Links

Source

Euractiv.com, 2008-07-08 und Tagesschau.de, 2008-07-05.

Supplier

Biofuelwatch
European Biodiesel Board (EBB)
European Bioethanol Fuel Association (eBIO)
European Commission
European Patent Office (EPO)
Friends of the Earth Europe
Renewable Fuels Agency (RFA)

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