Bioraffinerie-Farm: Uni Hohenheim und KIT forschen an gemeinsamem Technikum

Die eigene Bioraffinerie vor der Haustür am Bauernhof der Zukunft: Für dieses Ziel bündeln Uni Hohenheim und Karlsruher Institut für Technologie (KIT) jetzt ihr Know-how

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An ihrem Bioraffinerie-Technikum forscht die Universität Ho-henheim künftig gemeinsam mit dem Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). © Universität Hohenheim / Max Kovalenko

Kleine Bioraffinerien, angesiedelt direkt am Bauernhof: Sie sind der Schlüssel dazu, Kreisläufe zu schließen und so Natur, Umwelt und Klima zu schützen. Denn die Verwertung von Biomasse direkt vor Ort ist ein vielversprechender Ansatz dafür. Sie kann den Menschen Lebensmittel, vielfältige Materialien sowie Energie liefern. Doch noch sind viele Fragen bei ihrer Realisierung ungeklärt. Deswegen haben sich jetzt die Universität Hohenheim in Stuttgart und das Karlsruher Institut für Technologie zu einer Initiative zusammengeschlossen, die wirtschaftliche und nachhaltige technische Lösungen entwickeln will: Die Bioraffinerie-Farm. Dazu wollen sie an der Versuchsstation „Unterer Lindenhof“ der Universität Hohenheim eine bestehende Bioraffinerie-Anlage gemeinsam ausbauen – und dabei ihre jeweiligen technologischen Entwicklungen zusammenführen.

Auf dem Bauernhof der Zukunft stellt der Landwirt ‒ neben den herkömmlichen landwirtschaftlichen Produkten ‒ aus pflanzlicher Biomasse und organischen Reststoffen so genannte Basischemikalien her. Diese können als Ausgangsstoffe für biogene Kunststoffe oder Kraftstoffe dienen, die an anderer Stelle erzeugt werden. Die Reststoffe aus diesem Prozess wiederum werden in einer Biogasanlage energetisch verwertet und landen danach als Dünger wieder auf dem Feld.

So stellen sich Prof. Dr. Andrea Kruse vom Fachgebiet Konversionstechnologien nachwachsender Rohstoffe an der Universität Hohenheim und Prof. Dr. Nicolaus Dahmen vom Institut für Katalyseforschung und -technologie (IKFT) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) den Bioraffinerie-Bauernhof von morgen vor.

Aber wie lässt sich diese Vision konkret umsetzen? Ist sie auf einem Bauernhof oder nur im Zusammenschluss mehrerer Höfe umsetzbar? Wie müssen nachhaltige wirtschaftliche und technische Lösungen aussehen? Welches sind die aussichtsreichen Produkte? An Antworten auf diese Fragen forschen das KIT und die Universität Hohenheim nun gemeinsam.

Bioraffinerien als Schlüssel zum Erfolg

Vergleichbar mit Erdöl-Raffinerien kann in diesen Bioraffinerien aus pflanzlicher Biomasse eine breite Palette an chemischen Grundstoffen sowie Energie gewonnen werden. Ziel ist eine ganzheitliche, abfallfreie Verwertung der Biomasse. Um eine Konkurrenz mit der Lebensmittelproduktion zu vermeiden, werden Reststoffe oder Nebenprodukte aus dem landwirtschaftlichen Betrieb genutzt.

Die Idee dahinter: „Wenn aus Biomasse Kunststoffe, neue Materialien oder Kraftstoffe hergestellt werden, wird Kohlenstoff gebunden“, erklärt Prof. Dr. Kruse. „Werden diese biogenen Produkte dann am Ende Ihrer Nutzungsdauer zur Energieerzeugung verbrannt, wird nur dieselbe Menge an Kohlendioxid freigesetzt, die auch beim Verrotten des pflanzlichen Ausgangsmaterials entstehen würde. So können nicht nur fossile Brennstoffe, sondern auch CO2-Emissionen eingespart werden.“

Dabei können Bioraffinerien mehrere Produkte gleichzeitig herstellen. „Wenn man verschiedene Prozesse effizient hintereinanderschaltet, wird Biomasse entlang der ganzen Wertschöpfungskette zu Lebensmitteln, Futtermitteln, Werkstoffen, Materialien, Chemikalien und Energie veredelt“, betont Prof. Dr. Dahmen.

Wie ein kürzlich abgeschlossenes Projekt gezeigt hat, sind die bestehenden Verfahren und die resultierenden Produkte jedoch noch zu teuer. An dieser Stelle gibt es deutlichen Verbesserungsbedarf. Daher bündeln das KIT und die Universität Hohenheim ihre Aktivitäten und wollen verstärkt gemeinsame Projekte mit weiteren Partnern starten.

Kreisläufe schließen

„Unser Hauptanliegen ist es, Kreisläufe zu schließen“, beschreibt Prof. Dr. Kruse den gemeinsamen Ansatz. „Diese Kreisläufe gab es früher. Sie sind aber im Laufe der Zeit durch die Expansion von Wirtschaftsräumen verloren gegangen. Wir wollen jetzt aber nicht die alten Zeiten wieder heraufbeschwören, sondern die Lücken mit modernen Technologien schließen.“

Prof. Dr. Dahmen erklärt die dahinterliegende Herausforderung: „Im Wesentlichen geht es um eine vielseitige Kombination von chemisch-physikalischen Verfahrenstechniken mit biologischen und biotechnologischen Prozessen – und diese Aufgabe kann nur gemeinsam gelöst werden, besonders da die ganze Wertschöpfungskette betrachtet werden soll.“

Know-how bündeln

Nächster Meilenstein des Vorhabens ist der gemeinsame Ausbau und Betrieb einer bestehenden Bioraffinerie-Anlage an der Versuchsstation „Unterer Lindenhof“ der Universität Hohenheim. Entscheidend dabei: Die Karlsruher und die Hohenheimer Forschenden wollen einzelne Komponenten, die in verschiedenen Projekten entwickelt worden sind, zusammenführen und so Synergien nutzen.

In Form einer repräsentativen Technikumsanlage wird die möglichst vollständige stoffliche Verwertung von Biomasse zu so genannten Plattformchemikalien demonstriert. Diese dienen als wichtige Grundbausteine für die Herstellung von anderen Chemikalien und Materialien, um daraus schließlich Endprodukte wie beispielsweise Sportbekleidung aus biogenen Kunststoffen oder synthetische Kunst- und Kraftstoffe herzustellen.

Holz, Stroh und Gräser enthalten Lignozellulose als Stützsubstanz, die ihnen Stabilität verleiht. In der Bioraffinerie soll diese aufgespalten und die einzelnen Komponenten Cellulose, Hemicellulose und Lignin separat verwertet werden. Ein Karlsruher Verfahren zur Ligninspaltung wird dabei mit einem Hohenheimer Verfahren zur Verwertung von Lignozellulose gekoppelt. Dabei entstehen dann unter anderem Furfural und Phenole, mit denen beispielsweise biogene und damit formaldehydfreie Spanplatten und Sperrholz hergestellt werden können.

Damit könnten nicht nur Rest- und Nebenströme der landwirtschaftlichen Produktion verwertet werden, sondern auch fossile Ressourcen eingespart, die Wertschöpfung gesteigert und die Stoffkreisläufe geschlossen werden. Andere Beispiele für diesen Ansatz, in dem Biomasse dezentral in Zwischenprodukte umgesetzt und diese dann zentral weiterverarbeitet werden, sind die On-farm-Bioraffinerie-Konzepte der Universität Hohenheim und das bioliq®-Verfahren des KIT.

Kraftstoffe aus erneuerbarem Kohlenstoffträger

Beim Karlsruher bioliq®-Verfahren werden aus trockener Biomasse synthetische Kraftstoffe und chemische Grundprodukte hergestellt. „Biomasse hat als einziger erneuerbarer Kohlenstoffträger eine besondere Bedeutung für die Herstellung von Kraft- und Brennstoffen sowie von organischen Grundchemikalien“, ist Prof. Dr. Dahmen überzeugt. Als Nebenprodukte entstehen Wärme und Strom, mit denen der Energiebedarf des Prozesses gedeckt werden kann.

Um teure Transportwege einzusparen, kombiniert das Karlsruher Konzept die dezentrale Erzeugung eines energiereichen Zwischenproduktes, des Biosyncrude, mit seiner zentralen Umwandlung zu Synthesegas. Dieses wird anschließend zum gewünschten Endprodukt, wie beispielsweise Kraftstoff, veredelt. Der ganze Prozess wird im KIT in einer großen Pilotanlage demonstriert und weiterentwickelt.

Plattformchemikalien für biobasierte Kunststoffe

Mit der Koppelung von Lebensmittelproduktion und der Herstellung des Kunststoffs der Lebensmittelverpackung beschäftigen sich die On-farm-Bioraffinerie-Konzepte von Prof. Dr. Kruse in Hohenheim. „Pflanzen bauen chemische Strukturen auf, die Menschen als Ersatz für erdölbasierte Produkte nutzen können“, erklärt sie.

So arbeitet ihr Team unter anderem daran, aus Biomasse Hydroxymethylfurfural (HMF) herzustellen. Daraus lassen zum Beispiel Lebensmittelverpackungen, aber auch Getränkeflaschen, Fasern für Autositze, Nylon für Strümpfe, Sportbekleidung oder Autoteile herstellen.

Oft verfügen solche biobasierten Kunststoffe auch über bessere Eigenschaften als ihre aus Erdöl hergestellten Äquivalente. So hat der aus HMF hergestellte Kunststoff PEF eine höhere mechanische Stabilität als das herkömmliche PET. Dies ermöglicht die Verwendung dünnerer Folien und Verpackungen. Das reduziert nicht nur die Material-, sondern auch die Transportkosten.

Erschließung von zusätzlichen Standorten und Rohstoffen

Dabei kann beispielsweise auch Gras von Wiesen verwertet werden, die als Bienenweide dienen und deshalb erst spät im Jahr gemäht werden. Als Futter ist es wertlos. Es enthält aber ausreichende Mengen an Lignin und Zellulose, um in der Bioraffinerie verwertet zu werden. Ähnliches gilt für Aufwuchs von Nassflächen, wie renaturiertem Moor, oder landwirtschaftlichen Nutzflächen, deren Bewirtschaftung sich sonst nicht mehr rentiert.

Die Reststoffe aus diesen Bioraffinerie-Verfahren werden anschließend in der Biogasanlage in Energie umgewandelt, die zum einen die Prozesse in der Bioraffinerie selbst versorgt, aber auch in anderen Bereichen genutzt werden kann. Und selbst die in der Biogasanlage zurückbleibenden Reste können noch verwertet werden: Durch komplexe Verkohlungsprozesse, die Karbonisierung, können daraus High-Tech-Kohlenstoffmaterialien erzeugt werden.

Anwendungsmöglichkeiten dafür sind zum Beispiel Aktivkohlen zur Reinigung von Luft, Gasen oder (Ab-)Wasser, Speichermedien für Wasserstoff, Elektrodenmaterialien für Batterien und Brennstoffzellen oder Superkondensatoren, wie sie unter anderem für die Herstellung von E-Autos benötigt werden.

Kleine, modulare Anlagen

Die Bioraffinerie auf einem Bauernhof muss aber nicht notwendigerweise alle Verfahrensschritte in einer Anlage vereinen. Denn sie sollten auch möglichst klein sein, damit die Biomasse nicht über weite Strecken transportiert werden muss und die Nährstoffe direkt auf dem jeweiligen Hof wieder auf die Felder zurückgeführt werden können. Nur so ist Nachhaltigkeit auf regionaler Ebene gewährleistet.

Deswegen können auch kleine, modulare Anlagen nach dem Baukastenprinzip in das Konzept integriert werden. Damit sie wirtschaftlich arbeiten können, werden dann die Zwischenprodukte aus mehreren gleichartigen Bioraffinerien in größeren Fabriken zur Weiterverarbeitung zusammengeführt.

„Ziel ist aber immer die Selbstvermarktung der Produkte, auch wenn sich für kleinere Betriebe wohl eher eine genossenschaftliche Kooperation anbietet“, ist Prof. Dr. Kruse wichtig. „Grundsätzlich stehen die Landwirte einem solchem Projekt aufgeschlossen gegenüber, stellen die Bioraffinerien doch eine zusätzliche bzw. alternative Einnahmequelle dar. So können bestehende Biogasanlagen genutzt und deren Wirtschaftlichkeit verbessert werden.“

Hintergrund: Wissenschaftsjahr 2020/21 – Bioökonomie

In den Jahren 2020 und 2021 steht das Wissenschaftsjahr im Zeichen der Bioökonomie – und damit einer nachhaltigen, biobasierten Wirtschaftsweise. Es geht darum, natürliche Stoffe und Ressourcen nachhaltig und innovativ zu produzieren und zu nutzen und so fossile und mineralische Rohstoffe zu ersetzen, Produkte umweltverträglicher herzustellen und biologische Ressourcen zu schonen. Das ist in Zeiten des Klimawandels, einer wachsenden Weltbevölkerung und eines drastischen Artenrückgangs mehr denn je notwendig. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ausgerichtete Wissenschaftsjahr Bioökonomie rückt das Thema ins Rampenlicht.

Die Bioökonomie ist das Leitthema der Universität Hohenheim in Forschung und Lehre. Sie verbindet die agrarwissenschaftliche, die naturwissenschaftliche sowie die wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Fakultät. Im Wissenschaftsjahr Bioökonomie informiert die Universität Hohenheim in zahlreichen Veranstaltungen Fachwelt und Öffentlichkeit zum Thema.

 

Kontakte

Prof. Dr. Andrea Kruse
Universität Hohenheim, Konversionstechnologien nachwachsender Rohstoffe,
T +49 (0)711 459 24700
E andrea_kruse@uni-hohenheim.de

Prof. Dr. Nicolaus Dahmen
Karlsruher Institut für Technologie (KIT),
Institut für Katalyseforschung und -technologie (IKFT),
T +49 (0)721 608-22596
E nicolaus.dahmen@kit.edu

Source

Universität Hohenheim, Pressemitteilung, 2021-04-28.

Supplier

Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Universität Hohenheim

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