“Bioethanol ist ein kommerziell sehr interessantes Produkt”, stellt Klaus-Holger Dunker, Manager für neue Technologien beim Zuckergiganten Nordzucker, fest, der mit Wiedereröffnung seiner Ochsenfurter Produktionsanlage noch im Frühsommer über die Errichtung neuer Anlagen entscheiden wird. “Mittelfristig plant die deutsche Zuckerindustrie fünf Anlagen, die Rüben von 100.000 Hektar Anbaufläche verarbeiten können”, bestätigt dies Dieter Langendorf, Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftlichen Vereinigung Zucker.
Seit der Veränderung der politischen Rahmenbedingungen, wie dem Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zur Beimischung grüner Kraftstoffe zu herkömmlichem Benzin und Diesel ab dem Jahr 2009, aber vor allem seit der Novellierung der Steuergesetze für Biokraftstoffe in der vergangenen Woche, scheint das Nischendasein des deutschen Ethanolmarktes beendet. “Wegen des Branntwein-Monopols befand sich die Ethanol-Industrie in ausgesprochen ruhigem Fahrwasser”, resümiert Norbert Schmitz, der für die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe ein Marktgutachten erstellt. Bislang fördern lediglich Schweden und Frankreich den Alternativ-Kraftstoff aktiv, wobei letztere Ethanol vor allem als Rohstoff für die Herstellung des Kraftstoffzusatzes ETBE einsetzt. “Wir sind in der glücklichen Lage, durch den Erwerb des französischen Zuckerkonzerns Saint Louis Sucre von den dortigen Ethanolaktivitäten profitieren zu können”, berichtet Klaus Korn, Vorstandsmitglied des Mannheimer Marktführers Südzucker.
Durch Einsatz von Bioethanol könnte pro Hektar Anbaufläche jährlich der Energiegehalt von über 3.000 Litern Erdöl eingespart werden, zusätzlich bliebe die Klimabilanz trotz Lachgasemissionen aus den landwirtschaftlichen Flächen und der Düngemittelproduktion positiv. Fest steht indes, dass Bioethanol aus Zuckerrüben wegen seiner höheren Flächenerträge besser abschneidet als Ethanol aus Kartoffeln oder Getreide oder auch als Biodiesel. “Der Zuckermarkt hat freie Kapazitäten für die Kraftstofferzeugung”, bestätigt Nordzucker-Manager Dunker, der auf höhere Hektarerträge, Änderung der Fruchtfolge und den Anbau auf bislang “stillgelegten” Flächen baut, um die Rübenmengen zu erhöhen, die für den Verkehrssektor zur Verfügung stehen.
“Auf einen Zumischungsanteil von fünf Prozent zum Benzin kommen wir allerdings nur gemeinsam mit Getreide als Einsatzstoff”, stellt Dunker klar, der damit gleich eine Problemlösung für den unrentablen Getreidemarkt der EU in den Raum stellt, die derzeit nach Alternativen für den Roggenanbau sucht, weil das Getreide momentan zu teuer aufgekauft und eingelagert wird. Vor allem die Bauern in den roggenreichen ostdeutschen Ländern, aber auch im EU-Beitrittsland Polen würde eine Senkung oder gar Abschaffung des Interventionspreises für Roggen durch die EU betreffen. Ersatzweise – und als Rohstoff für die Ethanolproduktion auch ethisch geeigneter – käme der Anbau des Futtergetreides Triticale – einer ertragreichen Hybridsorte aus Roggen und Weizen in Frage.
“Die USA haben uns außerdem gezeigt, dass zukünftige Ethanol-Anlagen noch effizienter gestaltet werden können”, erläutert Berater Norbert Schmitz das “Precision Farming”, welches einen optimierten Einsatz von Düngemitteln sowie den Einsatz ökologisch und ökonomisch günstiger Einsatzstoffe wie Zellulose aus Bruchholz oder Altpapier erlaubt. Erst kürzlich investierte der Mineralölkonzern Shell 30 Mio. US-Dollar in ein kanadisches Unternehmen, das diese Technologielinie verfolgt (vgl. auch Meldung vom 2002-05-24).
Auch die Bauern dürfen sich freuen, denn nicht nur aus den deutschen Ballungsgebieten – auch aus dem ländlichen Raum dürfte künftig ein Teil unseres Kraftstoffes kommen und den in Fachkreisen geprägten Begriff “Aus Landwirten werden Energiewirte” weiterhin bestätigen.
(Vgl. auch Meldungen vom 2002-01-18, 2002-01-04 und 2001-09-01.)
Source
Frankfurter Rundschau vom 2002-06-11.
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