Biobasiertes Polyamid VESTAMID® Terra in Zahnbürsten

Bio-Borsten für die TIO-Zahnbürste

Zwei Designer wollen eine Zahnbürste entwickeln, die nachhaltig ist und gleichzeitig bestmögliche Materialien vereint. Das erweist sich deutlich schwieriger als gedacht. Sie stoßen auf VESTAMID® Terra von Evonik. 

„Als Designer beeinflusst man ziemlich oft Kaufentscheidungen“, sagt Benjamin Beck. Das begann ihn im Laufe seiner Karriere ziemlich zu nerven: „Menschen durch ansprechendes Design dazu zu überreden, ein Produkt zu kaufen, war mir zu wenig.“ Beck wollte etwas anderes machen: Am liebsten ein Produkt entwickeln, das sinnvoll ist, bei dem das aufregende Design im Einklang steht mit nachhaltigem Nutzen. An Zahnbürsten dachte er dabei zunächst nicht.

„Die Zahnbürste ist ein ziemlich interessantes Objekt“, sagt Beck heute. Jeder benutzt sie täglich mehrmals, und obwohl man die Bürste alle zwei bis drei Monate entsorgt, wird sie von den Menschen als vergleichsweise hochwertig wahrgenommen. Etwa 400 Zahnbürsten benutzt der Mensch im Laufe seines Lebens und produziert die entsprechende Menge an Müll. Ginge das nicht auch nachhaltiger, fragten sich Beck und sein Design-Studienfreund Fabian Ghoshal? Es gibt Öko-Zahnbürsten auf dem Markt, die zum Beispiel mit Tierhaar als Borsten bestückt sind. „Aber solche Haare splissen nach einiger Zeit, so dass sich Bakterien ansiedeln können“, weiß Beck mittlerweile. Hier könnte Biokunststoff als nachhaltige Alternative punkten. 2013 diskutierten Ghoshal und Beck gemeinsam im Urlaub solche und ähnliche Themen rund um nachhaltige Werkstoffe. Es war der Kern einer Idee, aus der heute TIO geworden ist, eine Firma für nachhaltige Zahnbürsten.

WER ÜBER DIE FUNKTION NACHDENKT, ERHÄLT DIE FORM

Hygienisch sensibel ist bei einer Zahnbürste vor allem der Kopf mit den Borsten, der regelmäßig gewechselt werden muss. © Evonik

Ganz am Anfang steht aber zunächst nicht der Werkstoff, sondern das Design. Die ersten Designs waren überdreht, räumt Beck nachträglich ein. Die beiden Gründer überlegten sich, ob die nachhaltige Zahnbürste vielleicht die Form eines Blatts haben könnte. „Am Ende aber sind wir beim Zitat von Ferdinand Porsche gelandet“, sagt Beck: „Wenn du lange genug über die Funktion eines Produkts nachdenkst, folgt daraus die Form.“ Tatsächlich sieht die TIO-Zahnbürste nicht bahnbrechend unterschiedlich aus zu bislang bekannten Zahnbürsten. Sehr wohl aber stecken im Produkt viele Gedanken, die sich direkt aus der Funktion ableiten: „Hygienisch sensibel ist bei einer Zahnbürste ja vor allem der Kopf mit den Borsten“, sagt Beck. Der muss regelmäßig gewechselt werden. Der Schaft hingegen ließe sich viel länger verwenden – und so ist es bei den TIO-Modellen auch. Allein das spart Müll. Auch bei der Verpackung sind die zwei Gründer konsequent und wickeln nur den Kopf steril in eine Hülle. „Die großen Blisterverpackungen vieler Zahnbürsten sind häufig marketinggetrieben“, sagt Beck.

Dann aber standen Beck und Ghoshal vor der nächsten Herausforderung: Ohne Material kein Produkt. Zwei Zufälle helfen den beiden Designern. Sie schließen Bekanntschaft mit Volker Dreher, gelernter Werkzeugbauer und zu diesem Zeitpunkt Geschäftsführer einer Formenbaufirma. Er hatte sich kurz zuvor bereits Gedanken über biobasierte Kunststoffe für Zahnbürsten gemacht, stieß bei seinem Unternehmen aber auf Ablehnung: Zu teuer, keine Nachfrage. Dreher hat also Know-how und Expertise, Beck und Ghoshal den Enthusiasmus und den Start-Up-Willen.

„Plötzlich hatten wir Kontakte zu Material- und Zahnbürstenherstellern“, beschreibt Beck. Allerdings soll das Spritzgießwerkzeug, um eine erste Charge Zahnbürsten herzustellen, knapp 40.000 Euro kosten. Geld für ein Vorinvestment, das die beiden Freunde nicht haben. Die zweite glückliche Fügung ist der Deutschland-Start der Crowd-Funding-Plattform Kickstarter, die nach Flaggschiffprojekten sucht, um für ihr Geschäftsmodell der Schwarmfinanzierung zu werben. Dort ist man angetan von der Idee. „Ganz allgemein würde ich sagen, dass der Aspekt Nachhaltigkeit uns ganz viele Türen bei der Gründung geöffnet hat“, sagt Beck: „Das Thema gewinnt deutlich an Interesse.“ Eine Kickstarter-Kampagne entsteht, die beiden Designer produzieren mit Hilfe eines befreundeten Kameramannes ein Video, um Kunden für ihre Idee zu begeistern, und lassen dort auch Personen wie den Experten Dreher zu Wort kommen. Am Ende haben sie ihr Startkapital zusammen – finanziert ausschließlich durch Endkunden.

Keine Frage, die Zahnbürsten von TIO sind aktuell teurer als eine herkömmliche Zahnbürste. „Das liegt aber auch an unseren kleineren Stückzahlen“, sagt Beck. Viele traditionelle Firmen würden den Sprung zu biobasierten Kunststoffen nicht wagen, weil sie das wachsende Interesse der Kunden noch als irrelevant betrachten: „Man muss aber den Kunden eine Wahl geben, um sich entscheiden zu können.“ Mittlerweile produziert TIO Chargen im Bereich von 100.000 Stück – das Fünffache der ersten Produktion.

Für die TIO-Zahnbürste suchten sich die beiden Gründer verschiedene biobasierte Kunststoffe zusammen, jeweils für Kopf, Stiel und Borsten. Und landeten für die Borsten sehr schnell bei VESTAMID® Terra. Neben der Tatsache, dass der Kunststoff aus Rizinusöl gewonnen wird, überzeugen auch die Eigenschaften: „Wir reden hier von langkettigen, semikristallinen Polyamiden“, erklärt Johannes Krampe, Manager Filaments im Bereich High Performance Polymers bei Evonik: „Die Filamente, die daraus entstehen, sind sehr leistungsfähig, zum Beispiel was Abriebfestigkeit angeht.“ Und das wiederum ist ein entscheidender Vorteil für Zahnbürstenborsten. Gleichzeitig sind die daraus gefertigten Borsten flexibel und elastisch, stellen sich also sehr gut wieder auf, geraten nicht aus der Form oder brechen. „Für uns war wichtig, dass wir eine Lösung bieten, die mindestens gleichwertig zu konventionellen Zahnbürsten ist“, sagt Beck. Die Nutzer sollen nicht das Gefühl haben, dass sie bei einer nachhaltigen Bürste ein minderwertiges Produkt bekommen oder in irgendeiner Weise ein Experiment eingehen.

Je mehr er sich mit dem Thema beschäftigt, desto deutlicher wird Beck bewusst, wie viel auch im Bereich der Zahnbürsten mit Design-Features gearbeitet wird, die insbesondere Neugier bei den Käufern hervorrufen oder die Markenwieder-erkennung stärken sollen. Die Borsten aus VESTAMID® Terra von TIO sehen nicht auffällig aus, basieren aber auf den Forschungsergebnissen von Stefan Zimmer, einem Professor der Universität Witten-Herdecke, der mit Putzrobotern sinnvolle Zahnhygiene erforscht. Zusätzliches Plus: Das biobasierte Material eignet sich auch für verschiedene Durchmesser, also für weichere oder härtere Borsten, je nach Kundengeschmack. „Das Portfolio von Evonik war da wirklich perfekt“, sagt Beck.

Der Designer ist mittlerweile umfassend an allem interessiert, was mit Biokunststoff zu tun hat. Für ihn war zunächst einmal entscheidend, dass VESTAMID® Terra pflanzenbasiert ist: „Sprich, der Kohlenstoff stammt aus der Atmosphäre“, unterstreicht er: „Selbst wenn die Zahnbürste anschließend verbrannt wird, landet nur jener Kohlenstoff wieder in der Atmosphäre, der vorher schon vorhanden war.“ Noch besser ist es, wenn die Pflanzen, aus denen der Kunststoff hergestellt wird, keine Monokulturen sind, die auch als Futterpflanzen verwendet werden könnten. VESTAMID® Terra wird aus dem Öl der Rizinuspflanze hergestellt, die für viele Tiere ungenießbar ist und vorwiegend in trockenen Gegenden wächst. Evonik entwickelte VESTAMID® Terra bereits vor mehr als zehn Jahren, mit dem Hintergedanken, dass Erdöl endlich ist. Der Kunststoff lässt sich in vielen Branchen einsetzen, zum Beispiel in der Modeindustrie. Seit einigen Jahren verzeichnen die Produktmanager von Evonik steigendes Interesse.

Dabei ist es für einen neuen Produzenten alles andere als trivial, mit Kunststoffen zu arbeiten. Dies haben auch die beiden TIO-Gründer festgestellt: „Bei jedem Kunststoff gibt es während des Prozesses ein anderes Schwindungsverhalten und sie ziehen sich auf unterschiedliche Art und Weise zusammen“, berichtet Beck. Denn nicht nur die Borsten ihrer Zahnbürsten bestehen schließlich aus Biokunstoff, auch der Griff und die abnehmbaren Köpfe, bisher jedoch noch nicht aus VESTAMID® Terra. Das bereitete den Designern durchaus Kopfzerbrechen, schließlich müssen die Spritzgussmaschinen dafür individuell feinjustiert werden. In der allerersten produzierten Charge an Bürsten fanden sich kleine Haarrisse – was Beck erst bemerkte, als er die Bürsten versandfertig machen wollte. Die Unternehmensgründer mussten komplett neu produzieren. „Es war eine Entwicklungsarbeit von zwei Jahren, bis alles final saß“, sagt Beck. „Das einzige, was von Anfang an direkt super gepasst hat, waren die Borsten.“

Mittlerweile sind die Produkte von TIO in den ersten Supermärkten gelistet. Der Ruf des Unternehmens beginnt sich langsam zu verbreiten. „Wir wollen uns immer noch verbessern,“ drückt Beck seinen Unternehmerwillen aus: Er möchte weiter mit Biokunststoff experimentieren und ist durchaus daran interessiert,
VESTAMID® Terra auch für andere Bestandteile zu verwenden als die Borsten. Daher laufen erste Versuche auch für die Griffe und Köpfe. Durch ein einheitliches Material für die gesamte Bürste käme man ihrer Recyclingfähigkeit einen Schritt näher, ein weiterer Aspekt im Nachhaltigkeitskonzept.

„Ich bin wirklich sehr beeindruckt von Evonik“, sagt Beck. Dass der Konzern so früh die Route Richtung biobasierter Kunststoffe eingeschlagen habe. Aber auch, dass Beck sich direkt an die Produktverantwortlichen wenden konnte: „Es ist für einen so großen Konzern nicht selbstverständlich, dass man als Kleinunternehmer so unterstützt wird und Zugang bekommt.“ Letztlich sieht er sich vor allem in der Vision bestätigt, die er vor Beginn der Firmengründung hatte: „Es gibt einen echten Rückenwind für nachhaltige Produkte. Und ich kann als Designer sinnvolle Sachen machen.“

Gleichwertig zu konventionellen Zahnbürsten
Gleichwertig zu konventionellen Zahnbürsten: Filamente aus VESTAMID® Terra sind sehr abriebfest. Die daraus gefertigten Borsten sind flexibel und elastisch, geraten nicht aus der Form oder brechen.

Über Evonik

Evonik ist ein weltweit führendes Unternehmen der Spezialchemie. Der Konzern ist in über 100 Ländern aktiv und erwirtschaftete 2020 einen Umsatz von 12,2 Mrd. € und einen Gewinn (bereinigtes EBITDA) von 1,91 Mrd. €. Dabei geht Evonik weit über die Chemie hinaus, um innovative, wertbringende und nachhaltige Lösungen für Kunden zu schaffen. Rund 33.000 Mitarbeiter verbindet dabei ein gemeinsamer Antrieb: Wir wollen das Leben besser machen, Tag für Tag.

Über Smart Materials

Zur Division Smart Materials gehören die Geschäfte mit innovativen Materialien, die ressourcenschonende Lösungen ermöglichen und konventionelle Werkstoffe ersetzen. Sie geben smarte Antworten auf die großen Herausforderungen von heute: Umwelt, Urbanisierung, Energieeffizienz, Mobilität und Gesundheit. Die Division Smart Materials erzielte im Geschäftsjahr 2020 mit rund 7.900 Mitarbeitern pro forma einen Umsatz von 3,24 Mrd Euro.

Source

Evonik, Pressemitteilung, 2021-08-17.

Supplier

Evonik Industries AG
Kickstarter Start-up Crowdfunding

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